Rund um die Welt

Beim Sommerfest auf Kampnagel wagt der schillernde Señor Coconut, nun mit Bigband und Sänger, wieder den Spagat zwischen traditioneller südamerikanischer Tanzmusik und dem Gefrickel der Computer-Kids

Wenn man an deutsche Auswanderer nach Chile denkt, sind zumindest unter jenen mit öffentlicher Relevanz eher unliebsame Gestalten wie das Ehepaar Honecker. Doch auch den Frankfurter DJ und Programmierer Uwe Schmidt zog es nach dem Abebben der Technowelle Ende der 90er Jahre nach Santiago de Chile. Nachdem er zuvor unter diversen unterschiedlichen Namen (unter anderem als Atom Heart, Atom und Lassigue Bendthaus) als Elektroniker in der Ambient- und Techno-Szenen umtriebig gewesen war, erwischte er – gerade noch rechtzeitig – gegen Ende des letzten Jahrtausends die große Retrowelle, auf der er gekonnt in Richtung Dance-Charts surfte.

Dank gebührt dabei der damals via Expo-Jingle erneut zu Ehren gekommene Gruppe Kraftwerk. Die Kombination von deren Stücken mit Easy-Listening Softness und südamerikanischem Laissez-faire ergab die bislang erfolgreichste Produktion von Uwe Schmidt. Dass sich der Musiker dabei gekonnt im Max-Raabe-Look stilisierte und als chilenischer Großgrundbesitzer tarnte, scheint dem Erfolg zuträglich gewesen zu sein. So entstand die Kunstfigur Señor Coconut und seine Cover-Platte „El Bailé Alemàn“, die zu solch Wortneuschöpfungen wie Elektrolatino oder Laptop-Salsa führte.

Zwischen Kokosnuss und Erdkugel wird dieser Tage nun abgewogen. Auf der neuen Platte, nach einem Stück des französischen Elektroduos Daft Punk „Around the World“ benannt, reist Uwe Schmidt Popklassikern aus der globalen Welt in südamerikanischer Bailémanier nach. Aufgesucht hat er dabei nicht nur ein Ringelreigen zwischen La Boum und Sweet Dreams, sondern hat auch gleich das venezolanische Stimmwunder Argentis Brito mitgebracht, der vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Jorge Gonzales bekannt sein dürfte. Auf dem Programm steht gar der alte Hit der Band Trio: „Da da da“, von Stephan Remmler höchstselbst interpretiert, oder der von Kitty Yo vor einigen Jahren in Las Vegas wieder ausgegrabenen Wiener Crooner Louie Austin, eine Art lebendes archäologisches Fundstück der Disco-Ära. Uwe Schmidt alias Coconut unterlegt diesen Stücke die Tanzrhythmen der Musikstile Cha-Cha-Cha, Merengue oder Mambo und interpretiert damit die Popgeschichte noch einmal neu.

Am heutigen Abend kann man auf dem Sommerfest von Kampnagel das Ergebnis zum ersten Mal hören. Wie immer hält sich Coconut selbst – ganz Mastermind – im Hintergrund und bedient die Schaltflächen seines Computers, während das Publikum vor allem die Liveperformance der begleitenden lateinamerikanischen Big Band und Señor Brito am Mikrophon bewundern kann. Die Retrophänomene aus denen sich auch Uwe Schmidt seine Elektrosalsawelt bastelte, sind inzwischen in der Epoche angelangt, in der sie erstmals selbst als solche stilisiert worden sind. Die 90er Jahre ,in denen das Zitat des Zitates und der Stilmix sich mit den Heimcomputern und Mischpulten der erwachsen gewordenen C64-Jugend koppelten, ließen anscheinend nur noch einen seichten Hauch Melancholie und Erinnerung an nie gehabte Unversehrtheit zurück. Was damals postmodern genannt wurde, hilft heute als Erklärungsmodell für einen sich selbst generierenden Zitatenschatz nicht mehr aus; Señor Coconut weiß wie, wenn auch nicht wohin. KERSTIN SCHROEDINGER

Sa 16. 8., 22 Uhr Kampnagel, Jarrestr. 20