„Doppelausstieg ist nicht Programm“

Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) erklärt, warum die Tübinger Stadtwerke sich über die Südweststrom Kraftwerksgesellschaft an einem Kohlekraftwerk in Brunsbüttel beteiligen würden. Er setzt auf eine Mischkalkulation

BORIS PALMER, 36, saß für die Grünen im Stuttgarter Landtag. 2006 wurde er zum Oberbürgermeister von Tübingen gewählt. FOTO: DPA

INTERVIEW GERNOT KNÖDLER

taz: Herr Palmer, die Tübinger Stadtwerke wollen sich mit 0,4 Prozent an einem Kohlekraftwerk in Brunsbüttel beteiligen. Als Oberbürgermeister sitzen Sie deren Aufsichtsrat vor. Warum haben Sie zugestimmt?

Boris Palmer: Der Einstieg in die Kraftwerksgesellschaft wurde schon unter meiner Vorgängerin beschlossen. Der Ausstieg wäre teuer gekommen. Die Entscheidung ist mir sehr schwer gefallen. Wenn alle derzeit geplanten Kohlekraftwerke auch gebaut werden, können wir den Klimaschutz vergessen. Ich kann deshalb gut verstehen, wenn der energiepolitische Sprecher unserer Bundestagsfraktion, Hans-Josef Fell, allein auf Erneuerbare Energien setzen will. Diese Position klingt erst mal sympathisch. Aber sie hilft mir für die Investitionsentscheidung nicht weiter. Das grüne Programm ist nicht Gesetz.

Man versucht, an die Macht zu kommen, um ein Parteiprogramm umzusetzen …

Ich bin nicht von der Partei gewählt, sondern von den Tübinger Bürgern. Das grüne Programm umzusetzen liegt auch nicht in der Kompetenz einer einzelnen Stadt und ihres Oberbürgermeisters. Zu meiner Verantwortung gehört, dass die Stadtwerke verlässlich und wirtschaftlich Strom liefern. Die Beteiligung an dem Brunsbütteler Kohlekraftwerk ist die richtige Entscheidung in einem falschen Rahmen. In einem richtigen Rahmen wäre es die falsche Entscheidung.

Wie müsste denn der Rahmen aussehen?

Wir bräuchten als Stadtwerke faire Wettbewerbsbedingungen. Dazu würde erstens gehören, dass das Erzeugungsmonopol der vier großen Energieversorger (E.on, EnBW, RWE, Vattenfall) aufgebrochen wird. Zweitens bräuchten wir für unsere dezentralen Stromerzeugungsanlagen eine bessere Wirtschaftlichkeit. Die Kraft-Wärme-Koppelung (KWK) müsste stärker gefördert werden. Sie können damit heute kein Geld verdienen. Bei Kohlekraftwerken sieht das anders aus. Drittens bräuchten wir auskömmliche Preise für die Nutzung unserer Leitungsnetze. So wie die Dinge liegen, bleibt uns nichts anderes übrig, als selbst auch Kohlestrom zu erzeugen.

Warum können Sie sich nicht auf erneuerbare Energiequellen beschränken?

Der Nachteil der Erneuerbaren Energien ist, dass sie in das große Stromnetz eingespeist werden. Wir kriegen dafür eine Vergütung, aber das ist kein Strom, den wir an unsere Kunden weiterverkaufen können.

Die Vergütung für grünen Strom ist mehr als kostendeckend.

Ja, aber weit von dem entfernt, was Stromproduktion in Großkraftwerken an Rendite bringt.

Was für eine Rendite wollen Sie denn haben?

Wenn die großen Energieversorger eine Rendite von 20 Prozent haben, können wir nicht mit sechs Prozent arbeiten. Sonst würden die Großen ihren Strom einfach billiger anbieten und uns vom Markt fegen. Alles, was auf dem Feld der Erneuerbaren Energien möglich ist, tun wir. Wegen der Beteiligung an Brunsbüttel wird kein Alternativenergie-Projekt unterlassen. Trotzdem sind wir von einer Vollversorgung noch Jahrzehnte entfernt.

Jedes neue Kohlekraftwerk trägt aber dazu bei, die bestehende Versorgungsstruktur zu zementieren.

Dieses Argument hat etwas für sich. Für unsere Stadtwerke kann ich garantieren, dass wir für den Umstieg auf erneuerbare Energien arbeiten und ihn nicht bremsen.

Nach Wirtschaftlichkeitskriterien können Sie sich das nicht leisten.

Wir erzeugen zum Teil erneuerbare Energie mit Verlust. Trotzdem müssen wir in der Lage sein, unseren Gewerbekunden günstigen Strom anzubieten – und das kann man nicht, wenn man ihn von den vier Großen einkauft und denen die Gewinne lässt.

Wie kommt diese Position in Ihrer Partei an?

Die Mehrheit sieht das sehr kritisch. Das ist verständlich.

Hat der ehemalige Wirtschaftsminister der rot-grünen Koalition im Bund, Wolfgang Clement (SPD), Recht, wenn er sagt, es sei unmöglich aus der Kohleverstromung und der Atomenergie zugleich auszusteigen?

Da hat er recht. Der Doppelausstieg ist aber auch nicht das grüne Programm. Der Kölner Parteitagsbeschluss von 2006 lehnt nur den Neubau von zusätzlichen Kohlekraftwerken ab.