Job-Elite ist bereit zum Rückzug

Früher machten Angestellte auch ohne Uni-Abschluss Karriere, heute steigen in Großunternehmen nur noch wenige auf. Wer nicht zum Zuge kommt, findet sich pragmatisch damit ab, so das Ergebnis einer Studie – und organisiert lieber sein Leben neu

VON THOMAS GESTERKAMP

Der berufliche Aufstieg war in deutschen Unternehmen früher leichter als anderswo. Ein „privilegiertes Gemeinschaftsmodell“ machte Hermann Kotthoff, Professor an der Technischen Universität Darmstadt, Mitte der Neunzigerjahre in einer Studie aus. Es zeichnete sich durch „sozialen Austausch“, „Arbeits- und Lebenssicherheit“ und nicht zuletzt durch ein „üppiges Gehalt“ aus. Die Arbeitnehmer, die meisten von ihnen Männer, bedankten sich mit Loyalität und Einsatzbereitschaft. Sie verstanden sich als Firmenmenschen, die ihre Kompetenz in den Dienst des Arbeitgebers stellten, weil sie diesem Qualifizierung und Karriere verdankten.

Zwölf Jahre später hat Kotthoff zusammen mit der Berliner Arbeitsmarktforscherin Alexandra Wagner die zehn Großunternehmen erneut befragt. Die Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung diagnostiziert „Akademisierung“ und schärfere Konkurrenz: Im Vergleichszeitraum ist der Anteil der Hochschulabsolventen unter den Beschäftigten um 42 Prozent gestiegen. Die Karrierechancen von Angestellten ohne akademischen Abschluss haben sich verschlechtert: „Ein Aufstieg von Berufspraktikern, der bis vor zehn oder fünfzehn Jahren noch relativ häufig vorkam, ist heute ganz selten geworden.“ Trotzdem, so das überraschende Fazit der Studie, sei die Stimmung unter den hochqualifizierten Arbeitnehmern „entspannt“ und „keineswegs verbittert“.

Der Hauptgrund liegt darin, dass eine Teilgruppe ihre Karriereambitionen zurückgeschraubt hat. Die Studie nennt sie „rückzugsreife Realisten“. Diese merken ab Mitte 30, „dass sie vor einer undurchdringlichen Karrierewand stehen“. Ob ein Angestellter zur Führungskraft werde, entscheidet sich laut der Untersuchung heute bereits in den ersten Berufsjahren – mit der sogenannten High-Potential-Analyse, die nur die wenigsten überstehen.

Die ausgegrenzten „Realisten“ verändern dann ihr Lebenskonzept, indem sie „den unausgesprochenen psychologischen Vertrag mit der Firma revidieren“. Ganz im Sinne der „Work-Life-Balance“ nimmt der Stellenwert des Berufs ab, der von Freizeit und Familie zu. Als „Edelsachbearbeiter“ gehen sie nicht in die innere Kündigung, reißen sich aber auch kein Bein mehr aus für die Firma. Ihre Arbeitszeit reduzieren sie auf ein vergleichsweise niedriges Niveau von rund 45 Wochenstunden.

Als die Führungskräfte-Studie erstmals durchgeführt wurde, befanden sich viele Großunternehmen in einer kritischen Phase. Erstmals blieben auch Angestellte in höheren Positionen von Entlassungen nicht verschont. Berater empfahlen einen Strategiewechsel zu „amerikanischen“ Modellen der Personalführung. Sie propagierten das Ende jeder moralischen Ökonomie, die nicht mehr zu den Herausforderungen des globalen Kapitalismus passe.

Die Folgeuntersuchung widerspricht den damaligen Prognosen: Aus einst loyalen Mitarbeitern sind keine bindungslosen Opportunisten geworden. Eine „Drehtür-Personalpolitik“ sei nicht festzustellen, stellen Kotthoff und Wagner fest, im Gegenteil: Wegen des absehbaren Fachkräftemangels investieren Unternehmen sogar mehr Geld in Rekrutierung, Training und Entwicklung ihrer Mitarbeiter. Allerdings bieten die Firmen statt „beamtenähnlicher“ Beschäftigungsgarantie häufig nur noch befristete Stellen. Beide Seiten, so die Studie, stellen sich auf eine „Lebensabschnittsbindung“ mit weniger Emotionen und Ansprüchen ein.

Die Karriere, fasst die Studie zusammen, sei stets der „Treibstoff“ der hochqualifzierten Angestellten gewesen. Dass die „Realisten“ auf den Aufstieg um jeden Preis verzichten, sieht Soziologe Kotthoff als ein neues Verhaltensmuster der „eigentlichen Wissensarbeiter der Zukunft“. Das habe sie aber „nicht näher an die Gewerkschaft herangeführt“. Zwar denken sie meist positiv über die Institution Betriebsrat, in Konfliktfällen schalten sie ihn aber kaum ein, sondern versuchen, Probleme direkt mit ihren Vorgesetzten zu lösen.