Wagner wiederbelebt

Beim Public Viewing übertönt das Gemeinschaftsgefühl den eigentlichen Anlass. Das ist die Chance für Bayreuth!

„Public Viewing“ ist der englische Begriff für das Aufbahren eines Verstorbenen. Schön präpariert vom Bestatter, kann der Leichnam öffentlich bestaunt werden. Denkt man an die Leistung der deutschen Elf im EM-Finale, so leuchtete einem ein, warum dieser Begriff aus der Grabesnähe mittlerweile für öffentliche Übertragungen von Sportereignissen verwendet wird: Fans treffen sich, um gemeinsam einen Verlust zu betrauern.

Katharina Wagner, die jüngste Walküre, hat das Public Viewing jetzt auch für die Oper entdeckt. Mit Erfolg. Eine ganze Kleinstadt, man spricht von 15.000 bis 17.000 Menschen, soll sich am Sonntag auf dem Bayreuther Festplatz bei Bier und Bratwürstchen eingefunden haben, um Katharina Wagners „Meistersinger“-Inszenierung anzuschauen. Ein geschickter Handgriff: Bei der Kritik fiel Katharina Wagners Regieleistung vom letzten Jahr durch. Zu fade. Die gut besuchte Leichenschau soll den Miesmachern jetzt das Gegenteil beweisen: Seht her, die Masse mag mich!

Der Andrang auf dem Festplatz zeigt, welche Chancen die Urenkelin des großen Meisters hat, um Wagner kompatibel fürs 21. Jahrhundert zu machen. Die „Umsonst & draußen“-Veranstaltung ist erst der Anfang: Noch wartet Wagner auf seine Entdeckung für den Musical-Markt. Die pompösen Emotionen und familiären Verstrickungen in den Werken bieten sich da hervorragend an. Nur die Titel der Opern müssten noch umbenannt werden. Wie wäre es zum Beispiel mit: „Nürnberg sucht den Supersänger“? JUDITH LUIG