Gefangene 932940, ohne Hoffnung

Die Gefangene Nummer 932940, die auf Wunsch des französischen Staatspräsidenten nach Italien ausgeliefert werden soll, wiegt noch 39 Kilogramm. Lebenswillen hat sie nicht mehr. Die Ärzte sprechen von „depressiven und suizidalen Symptomen“ und „akuter Lebensgefahr“. Ihr Mann Hamed sagt: „Ich verstehe das Leiden der Familien der Opfer. Ich erlebe es heute selbst.“ Ihre Tochter Elsa versichert, dass die Mutter „keine Gefahr für niemanden“ darstelle: „Bei ihrer Ankunft in Frankreich hat sie sich als Erstes bei den Behörden gemeldet: mit Adresse und Telefonnummer.“

In den späten 70er- und frühen 80er-Jahren war Marina Petrella, 54, führendes Mitglied der „Roten Brigaden“. 1981 war sie an einem Attentat beteiligt, bei dem ein Polizist getötet und ein Fahrer schwer verletzt wurde. Acht Jahre saß sie deswegen in Italien in Untersuchungshaft. Dort kam – vor 22 Jahren – auch ihre Tochter Elsa zur Welt. 1992 wurde Marina Petrella in Rom zu lebenslänglich verurteilt, blieb aber auf freiem Fuß. Ein Jahr später reiste sie – völlig legal – nach Frankreich.

Damit begann das zweite Leben der einstigen Rotbrigadistin. Wie Dutzende Ex-Gefährten kam sie in den Genuss einer Doktrin des damaligen französischen Staatspräsidenten François Mitterrand. Weil er die italienischen Praktiken zweifelhaft fand, bot er AussteigerInnen aus den Roten Brigaden Aufenthaltsrecht in Frankreich. Bedingung: Sie schwören definitiv der Gewalt ab. Petrella gründete eine Familie, bekam 1998 eine zweite Tochter, schloss mehrere Berufsausbildungen ab und wurde Sozialarbeiterin in der Pariser Banlieue.

Doch seit Anfang des neuen Jahrtausends weht ein anderer Wind zwischen Rom und Paris. Dafür sorgen sowohl die weltweite Terror-Jagd nach dem 11. September 2001 und die Intensivierung der europäischen Polizei- und Justizzusammenarbeit als auch die neue politische Nähe zwischen Paris und Rom. Erste Opfer der neuen Großwetterlage wurden die in Frankreich etablierten ItalienerInnen. 2002 schob die konservative Regierung unter Premier Jean-Pierre Raffarin einen ersten Italiener ab. Wenig später nahm Paris einen zweiten ins Visier: Cesare Battisti, der in Frankreich Schriftsteller geworden war, floh um die halbe Welt. Inzwischen sitzt er in Brasilien in Abschiebehaft.

Seit August 2007 gilt auch für Marina Petrella kein Asyl mehr. Bei einer Kfz-Kontrolle wurde sie in Handschellen gelegt und umgehend inhaftiert. Seither haben sich Regierung und Staatspräsident für ihre Auslieferung ausgesprochen. Nicolas Sarkozy verband das mit einem Appell an seinen Kollegen Berlusconi, er möge Petrella „so bald wie möglich“ begnadigen.DOROTHEA HAHN