Zwischen Ku-Klux-Klan und Ghetto

In den Siebzigern trampte Jacob Holdt fünf Jahre durch die USA und fotografierte. Auch dreißig Jahre später entfalten seine „Bilder aus Amerika“ noch ihre Kraft. Nun hielt er anlässlich einer großen Ausstellung im Postfuhramt einen Vortrag

VON NILS MICHAELIS

Der Blick auf dem Foto trifft den Betrachter und lässt ihn nicht mehr los. Durch ein faustgroßes Loch im Moskitonetz einer Eingangtür schaut einen ein afroamerikanisches Kind in die Augen. Mehr als der zurückhaltend-neugierige Blick des Kindes, sagt die Dunkelheit des Raumes hinter ihm, das morsche Holz des Türrahmens, die grob umgeschlagenen Nägel, die die Enden des Moskitonetzes an der Tür fixieren: Hinter dieser Tür Welt existiert eine Welt, die für den Betrachter sonst nur als Armutsstatistik Gestalt annimmt.

Das Foto stammt von Jacob Holdt, der es im Rahmen eines Diavortrags in Berlin zeigt. „Lecture“ nennt Holdt diese Vorträge, mit denen er über Rassimus und das, was er in Amerika und anderswo bewirkt, aufklären will. Für den Deutsche Börse Photography Prize 2008 war Holdt neben den Fotografen John Davies, Fazal Sheikh und Esko Männikkö als Finalist nominiert. Dass Letzterer gewann, dürfte Holdt kaum gewundert haben, was anklang, als er die Geschichte des besagten Fotos erzählte. „Für mich ist das ein untypisches Foto, denn erstens hat es einen Preis gewonnen, und zweitens kannte ich das Kind und seine Geschichte nicht. Es war eines der wenigen Bilder, die ich quasi im Vorbeigehen gemacht habe.“

Das besagte Holdt-Bild ist, um genau zu sein, das einzige, das je einen Preis gewonnen hat. Allerdings, erklärt Holdt, sei nicht ihm selbst der Preis zugesprochen worden, sondern einem Afrikaner. Dieser hatte das Bild im Internet entdeckt, es als eigenes ausgegeben und bei einem anderen Wettbewerb eingereicht. Beschwert hat sich Holdt deshalb nicht, er nimmt sich selbst gern zurück. Was andere Selbstverleugnung nennen würden, ist seine fotografische Methode.

Holdts Geschichte als Fotograf beginnt 1971. Damals brach der politisch bewegte Mittzwanziger aus Dänemark auf, um ins revolutionäre Chile zu reisen. Zuvor wollte er durch Kanada und die USA trampen. Beim Trampen entwickelte er die besagte Philosophie, nie Nein zu sagen: Wer immer es ihm anbot, bei ihm zu übernachten, Holdt ging mit. Nicht selten lebte er für Tage oder Wochen mit seinen Zufallsbekanntschaften und begann sie zu fotografieren. Die Bekanntschaften waren vor allem Schwarze aus der untersten sozialen Schicht. Aber nicht nur. Holdt lebte mit Mitgliedern des Rockefeller- und Kennedys-Clans, einem Playboy-Millionär und seinen Freundinnen, Junkies und Prostituierten, Ku-Klux-Klan-Mitgliedern und verarmten Farmern in Alabama und Dragqueens in San Francisco.

Rund 15.000 Bilder entstanden, von denen er eine Auswahl 1978 erstmals im Band „American Pictures“ in den USA veröffentlichte, gefolgt von Auflagen in Dänemark und Deutschland. Beigestellt waren den Bildern tagebuchartige Texte, die die aufwühlenden Geschichten der Porträtierten erzählten. Ist soziale Fotografie sonst ein Randthema, erzielte dieser Bildband eine Millionenauflage. Im Laufe der 80er wurde es still um Holdt. In Berlin waren rund 150 Interessierte gekommen, die sich fragten, was Holdt seitdem gemacht hat. Er hat in den vergangenen Jahren fortgeführt, was er in den 70ern begonnen hat. Der erste Teil seiner Berliner Lecture erzählte vor allem Geschichten zu Ende, die damals begonnen hatten. Happy Endings waren selten. Viele der porträtierten schwarzen Freunde wurden ermordet, landeten im Knast oder vegetierten in stromlosen Elendshütten.

Im zweiten Teil sprach Holdt über seine Erfahrungen mit Mitgliedern des Ku-Klux-Klan. Deren rassistischen Fanfaren seien im Wesentlichen Schreie nach Aufmerksamkeit und Liebe. Es sei die einzige Möglichkeit der weißen Unterschicht, des White Trash, mediales Interesse zu erlangen. Eine starke These, die Holdt mit Bildern und Lebensgeschichten von Klanmitgliedern belegte, die seine Freunde waren: Fast alle hatten in ihrer Kindheit Gewalt und Missbrauch erfahren, lebten zwischen Jobs und Knastaufenthalten. Holdt zeigte Bilder geglückter Zusammenführungen seiner schwarzen Freunde mit KKK-Mitgliedern.

Seine vehement vorgebrachte These, der Klan sei ein Verein armer Würstchen, die rassistisch reden, aber nicht handeln, mochte man ihm am Ende dann aber doch nicht abkaufen. Holdt selbst hatte in „Bilder aus Amerika“ noch die Geschichte des zufällig ausgewählten schwarzen College-Studenden Marvin Davis erzählt, der 1983 von KKK-Angehörigen gehängt wurde, weil sie „Klanstärke in Alabama demonstrieren“ wollten. Überzeugender war ein anderer Punkt, von dem sich Holdts Zuhörerschaft durchaus angesprochen fühlen konnte. Indem sie dezent jene Stadtviertel verlässt, die von Schwarzen bewohnt werden, trägt die weiße US-Mittelschicht mehr zur Ausgrenzung bei als alle rassistischen Pamphlete des KKK. So hatte Holdt bei seinen Zuhörern am Ende doch eines erreicht: Verunsicherung über eigene Gewissheiten zu erlangen.