Raider heißt jetzt Paulus

Er war Milliardär, für seine Börsentricks berühmt, dann ging er pleite. Jetzt ist „der Angreifer“ Karl Ehlerding zurück – und die neue Aktiengesellschaft des Hamburger Finanzjongleurs kauft kommunale Wohnungen: Kommende Woche rund 5.000 Stück

Karl Ehlerding, der am 25. Juli sein 66. Lebensjahr vollendet, ist auch gesellschaftlich engagiert: Das System Helmut Kohl versuchte er noch 1998 durch eine Parteispende in Höhe von 5,9 Millionen Mark zu retten. Zudem trägt er den schönen Titel des Honorarkonsuls der Kirgisischen Republik. Die Seestadt Bremerhaven hat ihn zum Ehrenbürger ernannt, weil er das Schullandheim Barkhausen sanierte. Mit seiner Frau Ingrid hat er 1992 eine Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Familien gegründet. BES

VON BENNO SCHIRRMEISTER

In aller Stille ist Karl Ehlerding zurückgekehrt. Der Sohn eines Bremerhavener Krabbenfischers war einmal einer der reichsten Menschen Deutschlands. Anfang 2002 stand er als „Hamburger Immobilienunternehmer“ auf der Milliardär-Liste des Forbes’ Magazine. In Börsenkreisen nannten sie ihn damals den raider. Das heißt Angreifer, Gangster, Plünderer, Räuber. Und war als Ehrentitel gemeint.

Ein halbes Jahr später hatte er etwas über eine halbe Milliarde Euro Privatschulden. Er musste die Aktien seines Unternehmens bei stürzenden Kursen verscherbeln. Dann wurde es ruhig um ihn. Seit 2005 gilt er als schuldenfrei. Mitte Mai 2008 hat er ein Mandat im Aufsichtsrat der Salzgitter AG erhalten. Und sein Besitz wächst: In Bremen-Nord, Schleswig, Braunschweig, in Sachsen und in Nordrhein-Westfalen hat er mittlerweile 3.300 Wohnungen gekauft. Meist aus genossenschaftlichem Besitz, in Paketen ab 100 Stück aufwärts.

Am Dienstag sollen 5.000 dazu kommen – die Hälfte der städtischen Greifswalder Wohnungsbaugesellschaft WVG. Hat man sich das gut überlegt? Bei Ehlerdings Vorgeschichte? „Als persona non grata würde ich Herrn Ehlerding nun nicht bezeichnen“, sagt Greifswalds Kämmerer Jörg Hochheim. Ein Dementi ist das nicht.

Aber Vorsicht, es wird gerade ungenau: Hälfte ist nicht exakt. Die Stadt wird nur einen Minderanteil verkaufen, also 49,9 Prozent. Und zwar nicht an Ehlerding persönlich. Sondern an einen von zwei Bietern. taz-Informationen zufolge kommt für die Mehrheit nur die in der Hamburger ABC-Straße ansässige Aktiengesellschaft „Kommunale Wohnen AG“ in Frage, nicht zu verwechseln mit der Kieler Wohnungsbaugesellschaft KWG, die Ehlerding auch einmal gehörte.

Bei der Hauptversammlung der KWG AG Anfang Juli 2007 in Bremerhaven erklärte deren Geschäftsführer Alexander von Cramm, das Management fühle sich nicht von Herrn Ehlerding ferngesteuert,dessen Investorengruppe 65 Prozent der Aktien hält. Ende desselben Monats ist von Cramm nicht mehr KWG-Vorstand.

Als „zurückgezogen lebend und tätig“ charakterisiert das Munzinger-Archiv Ehlerding. Scheint zu stimmen: Es gibt nur ein recht altes Agentur-Foto von ihm. Und auf taz-Anfragen reagiert er zurückhaltend. Beschrieben wird er als „scharfsinniger Analytiker“ – mit „hervorragendem Gespür für den Markt und seine Möglichkeiten“. Berühmt geworden ist er durch den Mantel-Aktien-Trick.

Der besteht darin, die Anteilsscheine eines erloschenen, aber weiterhin börsennotierten Unternehmens aufzukaufen – mehrheitlich. In diesen Mantel lässt sich nämlich ein neues Unternehmen kleiden. Und es ist schon börsennotiert. Ohne Gebühren. Die Württembergische Cattunmanufaktur produzierte von 1766 bis 1966 feine Stoffe. Ehlerding erwarb 65 Prozent der Aktien. Und widmete sie 1991 zur WCM-Beteiligungs- und Grundbesitz AG“ um, die Firmenanteile und Immobilien kaufte. Die „Kieler Wohnungsbaugesellschaft“ zum Beispiel. Oder die „Bremische“. Und die „Beamten Baugesellschaft Bremen“. Im Jahr 2004 hat der Finanzinvestor Blackstone diese drei übernommen. Vergangenes Jahr hat er sie an ein anderes US-Konsortium weitergereicht. Der Preis ist jeweils gestiegen. Die Miete auch. Die Wohnqualität nicht.

Die KWG-AG hieß früher Carthago Biotech. Sie hat vor allem „kommunale Wohnungsbestände“ im Visier. Die gelten als unterbewertet – sprich: Preisgünstig zu haben. Eine Parallele, die auch in Greifswald aufgefallen ist: „Wir wollen unsere WVG nicht in die Hände eines solchen Unternehmens geben“, sagt Ralf Döring, finanzpolitischer Sprecher der örtlichen Grünenfraktion – die den Verkauf für unnötig hält: Die WVG sei profitabel. So sieht das auch Die Linke. „Wir würden uns freuen, wenn wir in der Bürgerschaft eine Mehrheit dagegen bekämen“, sagt Fraktions-Vize Birgit Socher. Allerdings herrscht in Greifswald eine sehr große Koalition aus SPD, CDU, FDP und Bürgerliste.

Die Stadt will durch den Deal 70 Millionen Euro Schulden abbauen, 17 davon im Verwaltungshaushalt. Im Vertrag sei fixiert, dass die Mietsteigerungen bis 2017 bei jährlich maximal zwei Prozent liegen dürfen, versichert Kämmerer Hochheim, „also unter der Inflationsrate“. Auch das Unternehmen weist jeden Verdacht von sich: „Wir sind ein Bestandswahrer“, sagt Sprecherin Jutta Rehfeld.

Man verstehe sich als Antwort auf die Heuschrecken, hieß es auch schon bei Aufnahme der Geschäftstätigkeit. Und das Image pflegt man sorgfältig. Ehlerding selbst, größter CDU-Spender aller Zeiten, umgibt sich heutzutage gern mit ehemaligen SPD-Hoffnungsträgern: Dem Bremer Senator a. D. Willy Lemke etwa, der sitzt im Ehlerding-Stiftungsrat. Oder Björn Engholm: Der Brandt-Enkel ohne Erbe gehört dem KWG-Aufsichtsrat an. In einer Unternehmensanalyse stellt SES-Research fest, dass in puncto Mieterschutz „sämtliche Sozialregelungen übernommen“ werden.

„Ich glaube das sogar“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel, dem weiß Gott keine Nähe zu Ehlerding unterstellt werden kann: Dass dessen WCM sich nicht auch noch die Bremer Gewoba krallen konnte, war auch sein Verdienst. Nein, dass sich der raider von einst zum Sozialapostel gewandelt hat, hält er für unwahrscheinlich. „Aber ein Wandel hat stattgefunden“, so Hickel, „an den Märkten“. Statt auf den schnellen Profit werde gerade von institutionellen Anlegern auf die solide Anlage geachtet.

Den Zocker-Fantasien, durch den Namen Ehlerding anfangs angeheizt, scheint das sanfte Geschäftsmodell abträglich: Als er sie übernahm, war die Carthago-Aktie rund 50 Cent wert. Der Kurs explodierte: Bei zehn Euro lag er 2006. Gestern war die Aktie mit 5,40 Euro notiert. Ein ganz normales Wertpapier eben. Mit kleiner Rendite. Aber sicherer.