Vom Ehrenamt suspendiert – Säuberung am Dom

Weil sie in der taz in einem Leserbrief ihre Meinung zum Streit um den Domchor sagte, wurde eine Frau vom ehrenamtlichen „Präsenzdienst“ im Dom suspendiert. Auch für Ehrenamtliche gelte „Loyalitätspflicht“, sagt Dompastor Gotzen. Gisela Kalb über den Stil des Gemeindevorstandes: „Das ist nicht mein Menschenbild.“

Wolfgang Helbich, über Bremens Grenzen hinaus bekannter Leiter des Domchores, ist in diesem Jahr 65 geworden. Er hätte seine Arbeit als Kantor am Dom gern noch ein paar Jahre fortgeführt, der Domchor wollte das auch. Doch die Domgemeinde lehnte ab. Für die Suche nach Helbichs Nachfolger wurde ein aufwändiges Verfahren vereinbart, drei Bewerber haben eine Woche lang mit dem Domchor für ein Konzert geprobt. Am Ende waren sich Domchor und das Kammersinfonie-Orchester weitgehend einig, wer der beste Kandidat sei. Der Domvorstand entschied sich jedoch für einen anderen Kandidaten, Tobias Gravenhorst. Viele Mitglieder aus dem Domchor haben angekündigt, sie wollten den Dom verlassen und weiter mit Helbich singen – in einem neuen Chor. Inzwischen hat auch Ilka Hoppe, die Leiterin der Domsingschule, gekündigt. Hintergrund ist der Streit um die Bedeutung der Musik am Bremer Dom. Viele der Eltern wollen ihre Kinder weiter zu der engagierten Chor-Leiterin schicken – außerhalb des Doms. Erstes Opfer der Neuausrichtung der Musik am Bremer Dom war 2006 der langjährige Manager der Dommusik, Moritz Puschke. Als seine Stelle halbiert werden sollte, verstand er das als Missachtung seiner Arbeit und kündigte. Inzwischen ist er in Berlin Geschäftsführer des Deutschen Chorverbandes. Puschke: „Durch völlig unprofessionelles Verhalten hat der Dom einen Scherbenhaufen angerichtet.“ Die bremer kirchenzeitung widmet in ihrer Juni-Ausgabe der Musik zwei Seiten. Überschrift: „Die Kirche zum Klingen bringen“. Über den Konflikt um die Chormusik am Dom – kein Wort. kawe

Gisela Kalb ist pensionierte Berufsschullehrerin. Mehr als zwei Jahre saß sie jeden Donnerstag Nachmittag im Dom, um dort als „Präsenzdienst“ für die Touristen als Ansprechpartnerin zur Verfügung zu stehen. Ein klassisches Ehrenamt.

Vor zwei Woche bekam Gisela Kalb einen Brief von dem Pastor Christian Gotzen, der die 20 Damen und Herren vom „Präsenzdienst“ von Seiten des Domes betreut. Fazit des Briefes: Er sehe sich „dazu gezwungen, Sie ab sofort und bis auf weiteres vom Präsenzdienst im Dom und den Versammlungen des Teams zu suspendieren“. Der Grund für diese „Suspendierung“ wird in dem Brief ausführlich erläutert: Gisela Kalb hatte in einem Leserbrief in der taz ihre Meinung gesagt. Und sich kritisch mit der Entscheidungskultur der Domgemeinde und konkret dem Umgang mit dem Domchor auseinandergesetzt. Wer Präsenzdienst macht und Touristen das historische Bauwerk erklären will, hat eine „Loyalitätspflicht“, erklärte der Pastor. Gisela Kalb habe aber in dem Leserbrief „unverblümt deutlich“ gemacht, „dass sie die Entscheidung der für die Neubesetzung zuständigen Domgremien missbillige.“

Was der Pastor der Pensionärin besonders übel nimmt: Sie hatte in ihrem Leserbrief (im vollen Wortlaut unter www.mehr-dazu.de dokumentiert) berichtet, dass vier Besucher aus Lüneburg aufgetaucht seien, die ihr erklärt hätten, dass sie die neue Wirkungsstätte ihres Lüneburger Organisten Tobias Gravenhorst angucken wollten. Als sie verwundert eingewandt hätte, dass der doch in Bremen als Kantor und Chorleiter vorgestellt worden sei, seien die Lüneburger Besucher überrascht gewesen und hätten erklärt: „Naja, dann muss er noch sehr viel lernen.“

In dem Brief des Dompastors Gotzen heißt es dazu: „Sie beschädigen damit das Ansehen der Domgemeinde und ihrer gewählten Vertreter und stellen deren Kompetenz und Glaubwürdigkeit in Frage. Der ausgezeichnete Ruf von Herrn Dr. Gravenhorst als hoch qualifizierter künftiger Domkantor wird durch Ihre Äußerungen eindeutig in Zweifel gezogen.“

Gisela Kalb ist eine vielfältig aktive Frau und wird sich nach ihrer „Suspendierung“ vom Präsenzdienst nicht langweilen: Sie ist engagiert in ihrer Jona-Gemeinde in der Vahr und im „Lehrhaus Bremen“ von Hanns Kessler. Und was sie überhaupt nicht verträgt, sind Menschen, die ihr das Denken verbieten wollen. „Jeder Mensch ist für mich Gottes Ebenbild, hat Gottes Odem. Ich ging davon aus, dass die Leitung der Domgemeinde das gleiche Menschenbild hat. Ich habe leider sehen müssen, dass die im Umgang mit dem Domchor und mit Herrn Helbich nicht diesem Leitbild entsprechen“, sagt sie.

Warum sie so sehr Anteil an dem Umgang mit dem Chor nimmt? Seit längerem hat sie bei der Organisation der Konzerte geholfen, Programme verkauft, ehrenamtlich selbstverständlich. „Wir haben einfach eine Schwäche für Musik, mein Mann und ich.“ Der Dompastor Gotzen habe sie gefragt, warum sie nicht vor ihrem Leserbrief mit ihm geredet habe, erzählt sie. Ob sie denn kein Vertrauen zu dem Pfarrer habe. „Ich habe ihm gesagt: Nach dem, was passiert ist – nein.“ Einseifen lässt sie sich nicht: „Wenn ich etwas als ungerecht empfinde, kann ich nicht meinen Mund halten.“ Gisela Kalb hat sich in ihrem Leserbrief grundsätzlich mit der Politik der Kirche auseinandergesetzt. Sie frage sich, „warum nicht der Dom oder die Liebfrauenkirche die Kulturkirche geworden sind. Diese Kirchen sind seit Jahrhunderten die Stätten gewesen, die die Kultur in diesem Bereich mitentwickelt haben. Hat man St. Stephani gewählt, weil die damaligen Pastoren Greiffenhagen und Rosenboom mutig gegen Nazi-Deutschland Stellung bezogen haben, im Gegensatz zum Dom, wo der damalige Pastor und spätere „Reichsbischof“ Weidemann eindeutig für Hitler und seine Partei eintrat???“ Die Bremische Evangelische Kirche sollte, wenn die Gemeinden anspruchsvolle Musikkultur nicht mehr finanzieren wollen, zentral einen „Kultur-Chor“ bilden, so ihr Vorschlag. „Der Domchor hat in den letzten Jahrzehnten die Musikkultur entscheidend mitgeprägt und einen guten Ruf weit über die Grenzen Bremens hinaus erworben.“

Man kann in diesen Tagen mit Gisela Kalb nicht reden, ohne über die Martini-Gemeinde zu sprechen, wo einer Pastorin untersagt wurde, bei einer Trauerfeier auf die Kanzel zu gehen. „Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still“, hatte der Gemeindevorstand von Martini zur Begründung aus dem Timotheus-Brief von Paulus zitiert. Gisela Kalb hat die Bibelstelle im Zusammenhang nachgelesen. „Dürfen Frauen auch nicht laut beten? Die sollen in der Martini-Kirche doch auch einmal beim Singen schweigen, damit die Männer merken, wie schön ihr Gebrummel klingt“, spottet sie. Paulus hat in diesem Brief auch verlangt, „dass die Frauen in schicklicher Kleidung sich schmücken mit Anstand und Zucht, nicht mit Haarflechten und Gold oder Perlen oder kostbarem Gewand“. Und: „Eine Frau lerne in der Stille mit aller Unterordnung.“ Die Begründung ist klassisch: „Adam wurde nicht verführt, die Frau aber hat sich zur Übertretung verführen lassen. Sie wird aber selig werden dadurch, dass sie Kinder zur Welt bringt...“

Gisela Kalb ist eine religiöse Frau, aber wenn sie hört, dass jemand heute das wörtlich nimmt, „dann kriege ich Lachanfälle“. Und vor allem: „Das ist nicht mein Menschenbild.“ kawe