spielplätze (9): im restaurant jolesch
: „Hauts eam eine!“

Alle gucken wieder Fußball. Die taz auch. Bis zum Ende der EM berichten wir täglich live von den Berliner Spielplätzen. Heute: Österreich – Deutschland im Jolesch.Die Küche ist eine der wenigen Sachen, auf die Österreicher wirklich richtig stolz sein können. Mit den sportlichen Leistungen klappt es – zumindest im Fußball – schon lange nicht mehr. Und so steht am Montagabend im Kreuzberger Restaurant Jolesch beim Spiel Österreich gegen Deutschland auch das Essen an erster Stelle: Komme, was möge, zumindest satt will man doch sein. Ohnehin machen viele der österreichischen Gäste schon vorher ein Gesicht, dass sie nachher nicht enttäuscht aussehen können; sagen schon vor dem Anpfiff Sätze, dass nach dem Spiel klar ist, dass sie’s ja eh gewusst haben. Überall sonst auf der Welt mag sich Fan-Sein durch unbedingten Siegesglauben ausdrücken – ein Österreicher setzt vorsichtshalber auf ein grantiges „Des wird nix!“.

Bereits Viertel nach acht sind alle Tische im Restaurant besetzt. Die Kellnerinnen hetzen durch die Räume, bringen Getränke an die Tische: Ein kleines Bier? Einen Grünen Veltliner? Drinnen, im grüngetünchten Saal, liegt Schnitzeldunst in der Luft. Draußen auch. Denn die Fußballgucker haben sogar den Bürgersteig neben dem Jolesch bevölkert, zusätzliche Stühle herangeschafft und sie vor die Leinwand gestellt.

Das Spiel wird angepfiffen. Die Wiener Schnitzel können jetzt nur noch ohne Preiselbeeren serviert werden, der Kartoffelsalat muss nachgereicht werden. In der Küche kommen die Mitarbeiter mit dem Anrichten nicht mehr nach. Aber Wirtin Edith bleibt locker. Sie scherzt mit den Gästen und flötet nebenbei dem Reporter eines Radiosenders noch einen O-Ton ins Mikrofon. Fragen hat auch ein Journalist, der für eine Zeitung aus Augsburg berichtet. Schauspieler Robert Stadlober trinkt mit einigen Freunden gutgelaunt Bier.

Stiller Beobachter hingegen ist Benjamin von Stuckrad-Barre. Der Schriftsteller und Journalist hat sich einen Stuhl in einer Ecke im Barbereich reserviert. Manchmal steht er auf und wandert durch die Räume. Nach der ersten Halbzeit ist er weg. Stadlober bleibt. Immer wenn das österreichische Fußballteam einen Angriff abwehren kann, applaudiert er. Noch steht es 0:0.

Zu Beginn der zweiten Halbzeit kommen zwei junge Frauen ins Jolesch. Alle jubeln. „War was?“, fragt die eine. „Ich weiß nicht, I seh nix!“, antwortet die andere und nestelt ihre Brille aus der Tasche. „Na!“, stellt die Brillenträgerin fest. Noch ist nichts passiert. In der 49. Minute schießt Ballack das Tor. Ein Mann im Deutschland-Trikot schüttelt eine Ratsche. Die Österreich-Fraktion nur den Kopf.

Einzig vier junge Österreicher, die am Tisch direkt neben dem Eingang sitzen, feuern nach dem Tor ihre Mannschaft an. „Hauts eam eine!“, rufen sie. Gleichzeitig sind sie verärgert über das Unvermögen der Fußballer: „Wer stellt sich frei, bitte? Niemand! Echt niemand! Unglaublich!“, sagt einer. „Jetzt schiaßts!“, ruft der andere bei einem der letzten Angriffsversuche der Österreicher in der 64. Minute.

Kurz vor Spielende beginnen die Kellner abzukassieren. Aus der Traum vom zweiten Córdoba. Nach dem Abpfiff bricht die Hälfte aller Gäste sofort auf. Euphorie kommt nicht auf, auch nicht bei den deutschen Fußballguckern. Die jungen Österreicher am Eingang bleiben noch. Sie diskutieren darüber, wie groß die Wahrscheinlichkeit eines Sieges überhaupt hätte gewesen sein können. ANDREA EDLINGER

Café-Restaurant Jolesch, Muskauer Straße 1, alle Spiele auf großer Leinwand