Der wahre Untergrund

Die Off-Galerie Szene in Hamburg blüht. In einen ehemaligen Grill ist die Galerie „Pow“ eingezogen, wo sich junge Künstler ausprobieren können. Ein Besuch im Untergrund

VON ELISABETH WEYDT

Durch die eiserne Lieferantenklappe im Bürgersteig der Haubachstraße geht es über einen umgedrehten Bierkasten in ein staubiges Loch. Von dort führt ein wackeliger Stuhl eine weitere Stufe hinab in die Tiefe – hinunter zur Kunst. Hier, im verwinkelten Keller der Künstlergalerie „Pow“, macht man sich auf zum Rundgang durch die labyrinthartigen Räume voll junger Kunst. Das muss der wahre Underground sein.

„Naja, also eigentlich haben wir den Eingang nach unten verlegt, weil die Besucher sonst immer auf der oberen Etage stecken bleiben und gar nicht nach unten kommen“, sagt Helena Ratka. Sie betreut die Off-Galerie seit ihrer Gründung vor zwei Jahren. Damals hatte Ratka zusammen mit anderen Studenten der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) in dem Raumgewirr an der Haubachstraße das „Pow“ eingerichtet. „Die Besetzung wechselte häufiger“, erzählt die 24-Jährige. „Eine Zeit lang habe ich es alleine geführt, aber seit einer Weile sind wir wieder ein Team.“

Zu diesem Team gehört auch Janine Jembere. Sie hat die Videoinstallationen im ersten Stock konzipiert, die zur Ausstellung „Pleasure Forever“ gehören. Dafür hat sie die große Schaufensterscheibe zur Straße hin mit Buttermilch bestrichen, um sie als Leinwand zu verwenden. Das sei ein alter Trick. „Ein halber Liter reicht“, sagt sie. Auf dem halben Liter getrocknete Buttermilch läuft nun ein diffuses, kaum wahrnehmbares Fußballspiel. An der Wand gegenüber ist ein Punkt-Raster zu sehen, aus dem die Kamera immer wieder hinein- und herauszoomt. Die anderen beiden Wände des Raums zeigen sich gegenseitig ihre Projektionen: einen Kontrabassspieler und ein überdimensionales Aquarium. Auf dem Boden fliegen abwechselnd ein Himmel und eine Straße über die Holzbühne. Der ganze Raum ist Projektion.

Jembere gefällt die Idee der Quantenphysik, wie sie sagt. „Das Chaos und seine Teilchen.“ Deswegen wollte sie sich mit dem Thema Komplexität auseinander setzen. Ein Besucher, der seit einer Weile rauchend an der Fisch-Wand lehnt, ist damit allerdings etwas überfordert: „Ich hab’ da eine gedankliche Blockade“, wendet er sich an Jembere. „Was hat denn der Fisch mit dem Musiker zu tun?“ Jembere ziert sich. Die kleine Frau mit den kurzen, blonden Afrolocken will keine Interpretationen vorgeben. „Das kann man nicht eindeutig und konkret sagen, jeder sieht etwas anderes.“ Es gehe ihr um verschiedene Ebenen, Größen, die lose nebeneinander stehen. „Man muss nicht immer alles erklären können.“

Dieser selbst geschaffene Freiraum sei das, was das „Pow“ oder die Off- Galerien an sich ausmachen, sagt Ratka, die neben ihrem Studium der Visuellen Kommunikation auch Videoinstallationen für Theater und Kurzfilme produziert. „Hier ist ein Ort, an dem man frei sein und sich ausprobieren kann.“ Wichtig sei ihnen dabei aber auch das Nachdenken über Kunst. „Wir wollen auch eine Plattform für Gespräche bieten.“

In dem ehemaligen jugoslawischen Grill haben die jungen Künstler schon durch so manche Nacht diskutiert. „Wenn Leute kommen, Bilder aufhängen, noch eine Glühbirne dazu und dann war’s das – das ist uns natürlich zu langweilig“, sagt Jembere. Mittlerweile gibt es alle vier Wochen eine neue Vernissage mit einer zweiwöchigen Ausstellung, die von Donnerstag bis Samstag in den Abendstunden besucht werden kann. Die nächsten vier Monate sind bereits ausgebucht.

Und wie ist steht es mit dem Geld? Alle Beteiligten arbeiten ehrenamtlich, die Miete wird von den Getränkeverkäufen bei den Vernissagen finanziert, der Eintritt ist frei. „Natürlich gibt es viele Off-Galerien in der Stadt“, sagt Ratka, „aber das Pow ist mein Kind.“