Ein veritabler Kastenkampf in Rajasthan

In Indien liefern sich Angehörige des Gujjar-Stammes tödliche Schlachten mit der Polizei. Die Gujjars fordern eine bessere Position im hochkomplizierten indischen System von Kasten und Stämmen. Es geht dabei um Geld und Posten

DEHLI taz ■ Im modernen indischen Alltag ist das Kastensystem in den vergangenen Jahren immer mehr in den Hintergrund gerückt. Umso erstaunlicher scheint es, wenn ausgerechnet solche Gruppen auf ihre Kastenzugehörigheit pochen, die im Kastenwesen am meisten benachteiligt werden. Doch ganz irrational ist das nicht, geht es doch um den Erwerb oder die Verteidigung von Privilegien. Die Anhänger des Gujjar-Stammes im Bundesstaat Rajasthan im Nordwesten Indiens liefern hierfür derzeit ein treffendes Beispiel. Die Gujjars fordern, im hochkomplizierten indischen Quotensystem für benachteiligte gesellschaftliche Schichten in die Klasse der „registrierten Stämme“ (ST) Rajasthans aufgenommen zu werden. Landesweit sorgten sie für Aufmerksamkeit, als sie vor anderthalb Wochen damit begannen, Hauptverkehrswege in Rajasthan und der Hauptstadt Delhi zu blockieren. Als am Freitag bei Straßenschlachten in Rajasthan Sicherheitskräfte auf Demonstranten feuerten, kamen erneut zwei Menschen ums Leben. Die Zahl der Todesopfer bei den Protesten der Gujjars ist damit auf mindestens 42 gestiegen. Kirori Singh Bainsla, einer ihrer Anführer, erklärte gegenüber der Times of India, er wolle mit der Ministerpräsidentin von Rajasthan, Vasundhara Raje, verhandeln. „Sollte sie sich zu Gesprächen durchringen, bin ich bereit“, sagte er.

Die Landesregierung von Rajasthan erklärte, sie habe bei der Zentralregierung in Delhi darum gebeten, die Quote für Gujjars bei der Vergabe von öffentlichen Geldern, Plätzen an Schulen und Hochschulen und bei der Besetzung öffentlicher Stellen zu erhöhen. Zuvor hatte die Landesregierung den Polizeichef gefeuert, weil es ihm nicht gelungen war, die Proteste zu entschärfen.

Die Gujjars leben vor allem im Norden und Westen Indiens. Sie unterteilen sich in etliche kleinere Gruppen und sind sowohl Muslime als auch Hindus. Derzeit sind sie im Quotensystem als „andere benachteiligte Klasse“ (OBC) verzeichnet und profitieren damit nur eingeschränkt von den staatlichen Quotenregelungen. In einigen anderen Bundesstaaten sind sie dagegen als „registrierte Stämme“ notiert. Damit haben sie dort einen besseren Zugang zu Schulen und öffentlichen Stellen.

Die indische Regierung fördert benachteiligte gesellschaftliche Gruppen nach drei Kategorien unterschiedlich stark: Die „registrierten Kasten“, denen auch die „Unberührbaren“ angehören, erhalten die meisten Privilegien. Mitglieder solcher Kasten sind durch dieses Programm in den letzten Jahrzehnten wirtschaftlich oft merklich aufgestiegen. Die „registrierten Stämme“ und „andere benachteiligte Klassen“ werden ebenfalls gefördert, jedoch weniger stark als die „registrierten Kasten“.

Die Einteilung in diese Kategorien legt die Zentralregierung in Delhi fest. Doch oft wird bei den Entscheidungen mangelnde Transparenz kritisiert. Immer wieder werden wirtschaftlich aufgestiegene Gruppen aus dem Programm entfernt, andere neu aufgenommen. Proteste von Angehörigen spezieller Stämme oder Kasten bleiben da nicht aus. So hatte sich die Lage der Gujjars in Rajasthan durch die Aufnahme der Jats seitens der hindunationalistischen Zentralregierung in Delhi im Jahr 1999 verschärft. Denn die Jats, die 15 Prozent der Bevölkerung des Bundesstaats ausmachen, gelten als wirtschaftlich gefestigt. Schnell wurde der Verdacht laut, dass sich die BJP auf diese Art bei den folgenden Wahlen Stimmen sichern wolle. SASCHA ZASTIRAL