Vaterschaften unter Verdacht

Das neue Kindschaftsrecht kann für nichtdeutsche Mütter und ihre Kinder dramatische Folgen haben: Zeigt ein Gentest, dass der offizielle deutsche Vater nicht der leibliche ist, droht die Abschiebung

VON MARINA MAI

Die zweijährige Irina aus München, der fünfjährige Minh aus Berlin und ihre Väter werden wahrscheinlich in den kommenden Monaten zum Gentest geschickt. Die Behörden wollen überprüfen, ob die Väter tatsächlich auch die Erzeuger der Kinder sind – oder ob es sich um sogenannte Scheinvaterschaften handelt. Ist das so, droht den Kindern und ihren nichtdeutschen Müttern die Abschiebung.

Möglich wird der gerichtlich angeordnete Gentest, weil ab Juni ein neues Kindschaftsrecht gilt: Bei unehelichen binationalen Kindern haben Behörden dann das Recht, die Vaterschaft vor Gericht anzufechten. Voraussetzung: Die nichtdeutsche Mutter bekommt mit der Geburt des Kindes ein Aufenthaltsrecht in Deutschland und sie lebt mit dem Vater nicht klassisch als Familie zusammen.

Bisher gilt: Wird ein Kind eines deutschen und eines nichtdeutschen Elternteils geboren, bekommt es die deutsche Staatsbürgerschaft. Die nichtdeutsche Mutter erwirbt damit ein Aufenthaltsrecht. Das betrifft bundesweit knapp 1.700 Familien pro Jahr. CDU und SPD, die mit ihrer Mehrheit das Gesetz beschlossen haben, gehen davon aus, dass darunter Missbrauchsfälle sind. Also Väter, die die Vaterschaft möglicherweise gegen Geld anerkannt haben, damit die Frau ein Aufenthaltsrecht bekommt. Wie viele Missbrauchsfälle es wirklich gibt, ist nicht bekannt.

Erst seit 1998 können die Eltern allein entscheiden, wer der Vater ist. Sind sich beide einig, hält sich der Staat heraus. Er nimmt in Kauf, dass jemand die Vaterschaft anerkennt, der nicht der leibliche Vater ist – aber die entsprechende Bindung zu Mutter und Kind hat. Das dient dem Familienfrieden. Bei vielen Familien mit binationalen unehelichen Kindern könnte es damit bald vorbei sei. Und zwar nicht nur bei Kindern, die ab Juni geboren wurden. Der Staat kann im ersten Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes für alle diese Kinder Vaterschaften anfechten. Ab dem zweiten Jahr geht das noch für Kinder bis zum 5. Geburtstag.

Die zweijährige Irina lebt mit ihrer russischen Mutter in der Regel allein. Der Vater studiert auswärts und ist nur an den Wochenenden und in den Semesterferien bei der Lebensgefährtin und der Tochter. Da Irinas Mutter, die ebenfalls studiert, mit ihrer Geburt ein Aufenthaltsrecht über die Studienzeit hinaus erwarb, fällt die Familie in das Verdachtsraster.

So wird es auch dem fünfjährigen Minh und seiner vietnamesischen Mutter ergehen. Seinen Vater, einen Alkoholiker, kennt der Sohn gar nicht. „In Ostdeutschland sind viele vietnamesische Kinder von dem neuen Gesetz betroffen“, befürchtet Tamara Hentschel von der Beratungsstelle Reistrommel in Berlin. Sie geht davon aus, dass junge Vietnamesinnen, die in den letzten Jahren nach Deutschland geschleust wurden, häufig Kinder haben, deren offizieller Vater nicht der leibliche ist. „Für die traumatisierten und wegen der Schlepperkosten hoch verschuldeten Frauen war das die einzige Chance, legal ein Aufenthaltsrecht zu bekommen und Ruhe und Stabilität in ihr Leben zu bringen.“

„Werden Mütter und Kinder jetzt nach Vietnam abgeschoben, droht ihnen als alleinerziehende Mütter soziale Ausgrenzung“, sagt Hentschel. Denn in Vietnam lebt man in Dreigenerationenfamilien, die Herkunftsfamilie nähme nur um den Preis der eigenen Ausgrenzung eine Tochter mit unehelichem Kind auf. Kinder vietnamesischer Frauen, so Hentschel weiter, seien zudem kulturell in der Regel in die deutsche Gesellschaft integriert und sprächen besser deutsch als vietnamesisch.

Hildtrud Stöcker-Zafari vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften befürchtet gar, dass mit dem neuen Gesetz ein Generalverdacht gegen binationale uneheliche Kinder entsteht: „Hier wird wegen weniger Missbrauchsfälle ein modernes Kindschaftsrecht ausgehöhlt und ein Konflikt auf dem Rücken von Kindern ausgetragen.“