Medikamente für Entwicklungsländer

Der strenge Patentschutz bei Arzneien soll aufgeweicht werden: Diesen Grundsatzbeschluss hat nun die Weltgesundheitsorganisation gefasst. Länder des Südens müssten mehr Geld für Forschung und Entwicklung bekommen

AUS GENF ANDREAS ZUMACH

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) will die Forschung und Entwicklung von Medikamenten für Krankheiten, die in erster Linie die Länder des Südens betreffen, fördern – und wo erforderlich den rigiden Patentschutz für Arzneimittel aufweichen. Einen entsprechenden Grundsatzbeschluss fasste die Vollversammlung der 197 WHO-Mitgliedsstaaten am Wochenende in Genf. Vorausgegangen waren zweijährige Verhandlungen in der WHO-Arbeitsgruppe Öffentliche Gesundheit, Innovation und geistiges Eigentum. Die vornehmlich in Ländern des Südens tätige Nichtregierungsorganisation Ärzte ohne Grenzen (ÄoG) begrüßte die Entscheidung als „wichtigen Erfolg für unsere Patienten“, der nun durch „konkrete Schritte der Einzelstaaten umgesetzt werden“ müsse.

Der Beschluss der WHO-Vollversammlung erteilt der Genfer Zentrale der Organisation sowie den Mitgliedsregierungen konkrete Handlungsaufträge, um den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten in den Ländern des Südens zu verbessern. Unter anderem durch die Förderung alternativer Forschungsinstrumente, die Ausschreibung von Forschungsprämien für die Entwicklung von Behandlungsmöglichkeiten bei Armutskrankheiten oder die stärkere öffentliche Förderung von Produktionsentwicklungspartnerschaften.

Das derzeitige patentbasierte Modell der Pharmaforschung und -entwicklung konzentriert sich auf die Entwicklung teurer Medikamente für die reichen Industriestaaten des Nordens und ignoriert die Bedürfnisse von Millionen von Patienten in den armen Ländern des Südens weitgehend, da diese Patienten keinen lukrativen Markt darstellen. Gleichzeitig behindern Patente den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten in den armen Ländern.Dringend benötigte Medikamente sind dort unerschwinglich. An wirksamen Medikamenten fehlt es mangels Forschung gänzlich.

Den bisherigen Beitrag Deutschlands zur Entwicklung von Medikamenten für die Armutskrankheiten in Höhe von 20,7 Millionen Euro hatte ÄoG in einem Ende April veröffentlichten Bericht als völlig unangemessen kritisiert. Der WHO-Beschluss sei „für Deutschland eine Gelegenheit, die bisherigen Versäumnisse auszugleichen“ , erklärte der Koordinator der ÄoG-Medikamentenkampagne, Oliver Moldenhauer. Ein „wichtiger Schritt“ wäre die Ausschreibung einer Prämie für die Entwicklung effektiver Tuberkulosediagnostik. Moldenhauer forderte zudem, dass die Bundesregierung den Tuberkuloseimpfstoff, der zurzeit in einem ausschließlich mit öffentlichen Mitteln finanzierten Forschungsprogramm entwickelt wird, nicht wie geplant an einen Pharmakonzern verkauft, wo er dann patentiert würde.

Über 90 Patente für alle heute weltweit vorhandenen Medikamente werden von Pharmakonzernen in Deutschland, der Schweiz, Japan und den USA gehalten. Nach langjährigem erbittertem Widerstand dieser vier Staaten hatte die Welthandelsorganisation (WTO) 2002 beschlossen, Ausnahmen vom Patentschutz in besonderen Gesundheitsnotfällen zuzulassen. Wirksam wurde dieser Beschluss bislang aber nur bei Aidsmedikamenten. Die Preise für antiretroviralen Aidsmedikamente sind in den letzten 7 Jahren deutlich gesunken, und Länder wie Thailand oder Brasilien konnten preiswerte Nachahmemedikamente der teuren Originale der westlichen Pharmakonzerne herstellen. Bei allen anderen Krankheiten haben die Pharmakonzerne, unterstützt von den Regierungen in Berlin, Washington, Tokio und Bern, die Umsetzung des WTO-Beschlusses von 2001 bislang aber verhindert.