Vater und Sohn, Strich an Strich

Jim Knopf war sein Konkurrent: Das Literaturhaus Fasanenstraße zeigt die Originalillustrationen von Kinderbuchklassikern wie „Räuber Hotzenplotz“

Dass Papier zerbrechlich wirken kann, stimmt ja eigentlich nicht. Vielleicht also liegt es an Bildminiaturen selbst, dass die durchscheinenden DinA-4-Bögen, die in den Räumen des Literaturhauses hängen, so fragil erscheinen. Was da mit feinem Strich gezeichnet ist, eigenartig verhalten und zögerlich in seiner Kleinheit, sind große Helden aus Kindertagen: Jim Knopf, das kleine Gespenst oder Räuber Hotzenplotz mit seinen räudigen Bartstoppeln. Der lässt, wenn nicht den Schauer selbst, so doch die Erinnerung daran entstehen, wie er einem mal voll des wohligen Schrecks über den Nacken gehuscht ist.

Otfried Preußler und Michael Ende haben diese Figuren und ihre Geschichten erfunden und sind mit ihnen zu Bestsellerautoren geworden. Selbst ins Chinesische wurden sie übersetzt. Kaum jemand indes weiß, dass die Bilder zu Preußlers „Kleinem Gespenst“ oder Endes „Jim Knopf“, die so untrennbar mit der Erinnerung an diese Bücher verknüpft sind, nicht von den Autoren selbst stammen. Gezeichnet hat sie in den Sechzigerjahren der Maler und Illustrator Franz Josef Tripp. Dem allerdings war für seine wunderlichen Figuren nicht nur wenig zeitgenössische Anerkennung, sondern auch wenig Nachruhm beschieden. Erst vor ein paar Jahren sind die Originalillustrationen der Manuskriptseiten, auf denen mit dünnen Bleistiftlinien schon der Verlauf der Textzeilen markiert ist, in den Kellern eines Stuttgarter Verlags wiederaufgetaucht.

Die ursprünglich vom Literaturhaus Stuttgart initiierte Ausstellung hat nun nicht nur den schönen Effekt, dass man gemeinschaftlich ein bisschen nostalgisch werden kann. Wirklich interessant ist, dass der Sohn des Illustrators, der Maler und Autor Jan Peter Tripp, sich daran gemacht hat, fast ein halbes Jahrhundert später die Figuren seines Vaters noch einmal zu malen. Seine Kohlezeichnungen muten neben den verspielt verschrobenen Illustrationen des Vaters riesig, vor allem aber auf eine irritierende Weise hyperrealistisch an. Aseptisch, könnte man denken, würde man nicht plötzlich die liebevolle Ironie sehen, die sich in diesen Bildern verbirgt. Hotzenplotz ist frisch rasiert und hat sogar den Anflug eines Lächelns auf den Lippen. Das überlebensgroße Porträt des Vaters, der den Blick in eine unbestimmte Ferne richtet und dem gerade das kleine Gespenst aus dem Kopf entsprungen ist, scheint wie eine Anspielung auf die Heldenfotografie des sozialistischen Realismus.

Wie ernst gemeint solche Bilder sind, ist schwer zu sagen. In einem Essay, den Jan Peter Tripp über seinen Vater geschrieben hat, sagt er, der Vater habe zwei Kinder gezeugt: „mich und Jim“. Vermutlich trifft es die Ambivalenz sehr gut, mit denen jeder Sohn den Arbeiten des Vaters, zumal wenn sie so raumgreifend sind, gegenüberstehen muss, wenn es dann heißt: „Im Gegensatz zu Jim wurde ich immer größer, dieser jedoch weltberühmt.“

Franz Josef Tripp starb eingeschneit in den Schweizer Bergen, auch das liest man in dem Text des Sohnes. Ein seltsamer Zufall, dass wenige Meter weiter einst Robert Walser den Tod gefunden hat. Walser, der mit seiner immer kleiner werdenden Schrift immer kleiner werdende Zettel mit seinen skurrilen Geschichten füllte, scheint wie eine Art Verwandter von Franz Josef Tripp und seinen fantastische Miniaturen. Gefunden hat man den toten Walser im Schnee liegend, auf unerklärliche Weise weit entfernt von den letzten Abdrücken, die seine Schuhe im Schnee hinterlassen hatten. Ein ganz passendes Bild vielleicht für die Wiederentdeckung von Franz Josef Tripp und seinen Zeichnungen. Etwas mehr Dokumentation hätte man sich zwar gewünscht, um der eigenen Nostalgie noch etwas hinzuzufügen. Aber auch so sind Tripp & Tripp ganz und gar liebenswert.

WIEBKE POROMBKA

Tripp & Tripp. Literaturhaus in der Fasanenstraße, Mo.–Fr. 10 bis 17 Uhr, bis 30. Juni