Vaterland ist abgebrannt

Die Sängerin Nneka kam per Zufall nach Hamburg und zur Musik. Ihr Heimweh, aber auch ihre Wut über postkoloniale Ausbeutung setzt die studierte Anthropologin in einem bewegenden Mix aus Soul, Reggae, Hip-Hop und der Musik ihrer nigerianischen Heimat um

„In Afrika brennt ein Feuer. Das kann ebenso positiv sein wie negativ: Es wärmt uns und es verbrennt uns“

VON JAN KAHLCKE

Als Wahlhamburgerin wird Nneka Egbuna häufig bezeichnet, dabei trifft das die Sache nur sehr ungenau. Es war der pure Zufall, der die Nigerianerin vor sieben Jahren an die Elbe führte. „Ich sprach kein Wort Deutsch und habe überhaupt nicht kapiert, was vor sich ging“, sagt sie. Plötzlich fand sie sich in einer Flüchtlingsunterkunft wieder, am Flughafen Fuhlsbüttel.

Dabei wollte sie nur alles hinter sich lassen, auf eigenen Füßen stehen – und Deutsch lernen, die Sprache ihrer Mutter, die sie aus den Augen verloren hat. Dabei bedeutet Nneka in ihrer „Vatersprache“, Ibo, so viel wie „Die Mutter steht über allem“.

Nneka fühlte sich verloren, als sie damals ankam. Um sich selbst zu trösten, sang sie viel vor sich hin. Dass ausgerechnet ihr Gesang ihr einmal ihre Unabhängigkeit garantieren würde – davon hatte sie damals keine Vorstellung. „Die Musik hat mich gefunden und nicht ich die Musik“, sagt sie. In einer benachbarten WG, wo man sich abends zum gemeinsamen Rappen traf, lernte sie den Produzenten DJ Farhot kennen – und die Chemie stimmte. Inzwischen haben sie das zweite Nneka-Album fertig gestellt, „No longer at ease“. Man kann es auf eine Weise anhören, die den Titel paradox erscheinen lässt: als gefällige Hintergrundmusik, Geschichtenerzählsoul mit einer leicht angerauten Stimme. Man kann sich aber auch an die Ebenen darunter machen: die sperrigen Sounds, die man eher im elektronischen Dub-Reggae erwarten würde, pumpende Hip-Hop-Beats oder den Fluss von Afrobeat und nigerianischem Highlife. Und die Texte: Mit atemloser Ruhe hämmert Nneka einem die Ungerechtigkeiten in ihrer Heimat im Nigerdelta ein, spricht von Tod, Armut und Ausbeutung. In ihrem Pidgin-Englisch, das nicht so abgebrüht klingt, wie die Straßenrapper aus den USA, eher erdig, bodenständig, eindringlich.

Sie hat das alles erlebt: die blutige Diktatur von Sani Abacha, die grassierende Korruption, die marodierenden Milizen aus perspektivlosen jungen Männern, die leckenden Ölpipelines, die ihre Nachbarschaft verseuchten. Die verzweifelten Menschen, die ihr Leben riskierten, um ein paar Tropfen Öl abzuzapfen und auf dem schwarzen Markt zu verkaufen. „Und wir alle waren zu sehr mit dem eigenen Überleben beschäftigt, um etwas dagegen zu tun“, erinnert sie sich. Schuld seien der Westen und seine wirtschaftlichen Interessen, sagt sie – „Und natürlich wir selbst, unsere politischen Führer, weil wir zulassen, dass der Westen Zugang zu unseren Ressourcen bekommt.“ Manchmal sagt sie trotzige Sätze wie: „Der Westen sollte Afrika in Ruhe lassen.“

Nneka stammt aus der Stadt Warri, die der Ölboom zu einer der reichsten in ganz Westafrika gemacht hat. Ihr Vater war Architekt, gehörte zur Mittelschicht – „wenn man davon in Nigeria sprechen kann“, sagt sie mit einem bitteren Lachen. Und trotzdem konnte er manchmal die Schulgebühren für seine sechs Kinder nicht aufbringen. „Dann haben sie uns nach Hause geschickt“, sagt sie.

Das alles ist weit weg, aber es wird für sie immer präsent bleiben. Gerade hat sie an der Universität Hamburg ihren Magister in Anthropologie und Archäologie abgelegt, mit 26 und quasi nebenher – neben einer Teilzeit-Popkarriere. „Wir in Afrika wissen so wenig über unsere eigene Vergangenheit“, sagt Nneka. Das macht sie richtig zornig. Es sind immer Weiße gewesen, die in Afrika Ausgrabungen machten und Bücher darüber schrieben. Und diese Bücher hat sie erst in Deutschland lesen können. „Es gibt für mich noch soo viel für zu lernen über Afrika“, sagt sie und hebt die Augen fast verzweifelt zum Himmel. Ein Traum von ihr ist, die historischen Stätten Westafrikas zu besuchen – und vielleicht irgendwann ein Museum für die Geschichte Nigerias zu gründen. Oder doch lieber ein Studio aufbauen, in dem all hoch begabten Wortakrobaten der nigerianischen Rap-Szene aufnehmen können, von denen sie mit tiefer Bewunderung spricht?

Manchmal wirkt die zarte Frau mit dem bronzenen Teint und den feinen Zügen rastlos, so viele Pläne hat sie. Dabei geht sie ihren Weg ganz unbeirrt, als gäbe es einen Masterplan. Das bestreitet sie heftig. „Ich folge einfach meinem Herzen“, sagt sie.

Ihr Herz macht es ihr nicht ganz leicht. In Hamburg ist sie nicht heimisch geworden. Sie fröstelt an diesem leidlich schönen Frühlingstag in ihrem dünnen Jeanshemd und dem bodenlangen Rock. Sie wickelt ihren dicken Schal noch einmal mehr um den Hals. „In Afrika brennt ein Feuer“, sagt sie. „Und das Feuer kann beides sein: positiv und negativ. Das Feuer der Korruption verbrennt uns alle, aber es gibt auch dieses Feuer, das und trotz aller Schwierigkeiten fröhlich sein lässt, das uns wärmt.“ Irgendwann wird sie zurück gehen, ganz sicher. Einen Anfang hat sie schon gemacht: Sie hat eine Wohnung in Warri. Dreimal im Jahr fährt sie hin. Feuer fangen.

Neka, „No longer at ease“: Yo Mama/Sony BMG Konzert: heute, 21 Uhr, Fabrik, Hamburg