Mehr Multikulti in der Allianz

Heute findet die zweite Hauptversammlung der Allianz-Versicherung als Europäische Aktiengesellschaft statt. Ein Jahr nach der Umwandlung ziehen Gewerkschafter eine positive Bilanz: Mitarbeiter können nun mehr mitreden

HAMBURG taz ■ Geoff Hayward wirkt glücklich. Er ist der erste britische Gewerkschafter, der im Aufsichtsrat eines deutschen Unternehmens sitzt: der Allianz. Möglich wurde das durch eine Änderung der Rechtslage: Seine Gesellschaft nach deutschem Recht wandelte die Versicherung 2006 in eine Europäische Aktiengesellschaft (SE) um.

Entgegen aller Befürchtungen hat sich das für die Allianz-Beschäftigten in 24 Ländern als positiv erwiesen. „Die SE bringt mehr Mitbestimmung nach Europa“, sagt Norbert Kluge vom europäischen Gewerkschaftsinstitut Etui-Rehs. Auch Ver.di-Sekretär Jörg Reinbrecht sieht neue Chancen. Er berät den multikulturellen SE-Betriebsrat des Allianz-Konzerns im Auftrag des internationalen Gewerkschaftsdachverbandes UNI. Beide Experten widersprechen damit der verbreiteten Meinung, dass der Einfluss der Arbeitnehmervertreter in einer SE automatisch geschwächt werde. Und Roland Köstler, Mitbestimmungsexperte der Hans-Böckler-Stiftung, meint: Was die Kollegen aus den SE-Möglichkeiten herausholen, „ist eine Frage der Verhandlungen“. Sollten diese allerdings scheitern, greifen nur die Mindeststandards der entsprechenden EU-Richtlinie. Die deutsche Familienfirma Conrad Electronic etwa verhinderte über ihre SE-Gründung, dass Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat einzogen.

Die neue Rechtsform biete aber viele Möglichkeiten, meinen die Experten: So hatten bis zur Allianz-Umwandlung alle Arbeitnehmerräte aus Deutschland gestammt. Dort arbeitet aber nur die Hälfte des Personals. Im SE-Aufsichtsrat kommen die Arbeitnehmervertreter nun aus drei europäischen Ländern und repräsentieren etwa 75 Prozent der Beschäftigten. „Davon profitieren wir nun“, meint der britische Betriebsrat und Neoaufsichtsrat Hayward. Zwar nutzte Allianz-Chef Michael Diekmann die SE-Gründung dazu, seinen Aufsichtsrat wie in anderen SE-Konzernen auf zwölf Köpfe zu verkleinern. Aber weiterhin gilt die deutsche paritätische Mitbestimmung.

Traditionell internationaler besetzt als die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat sind viele Betriebsräte schon seit den 1990er-Jahren. Eurobetriebsräte gibt es etwa bei Airbus, Opel oder der Deutschen Bank. Sie vertreten die Beschäftigen aber nahezu machtlos, stehen ihnen doch durch eine EU-Richtlinie von 1994 nur vage Info-Rechte zu. Ein Jahrzehnt später hat die SE-Richtlinie der EU-Kommission eine klare Grundlage geschaffen.

Geregelt ist nun, worüber die Chefs in den Konzernzentralen ihre Beschäftigten unterrichten müssen und zu welchen Themen der SE-Betriebsrat vom Chef angehört werden muss. Ländertreffen in Paris, London oder Warschau muss nun die Firma finanzieren, SE-Betriebsräte dürfen jeden Betrieb besuchen. Und wo es keine nationale Interessenvertretung gibt, können sich Beschäftigte fortan direkt an ihren Betriebsrat wenden.

Entsprechend fordern Gewerkschaften eine Übernahme der SE-Rechte für alle normalen Eurobetriebsräte. Die EU-Kommission will im Sommer einen Richtlinienvorschlag für die länderübergreifenden Nicht-SE-Konzerne unterbreiten.

HERMANNUS PFEIFFER