Ein Ideal von Sauberkeit

Von Ausbeutung, Desinteresse und manch überkommen geglaubter Tugend: In Osnabrück widmet sich eine sehenswerte Ausstellung der Putzfrau

Ohne sie würden leutselige Redewendungen – „Da kann man ja vom Fußboden essen!“ – Sinn und Bedeutung verlieren

VON THORSTEN STEGEMANN

Sie putzt, sie wäscht und sie saugt. Sie ist stets fleißig, immer dankbar und käme von sich aus nie auf den Gedanken, einen gesetzlichen Mindestlohn zu verlangen. Der Bundesbürger mag sie aber ohnehin am liebsten, wenn er nur das Resultat ihrer Arbeit sieht: Taucht die Urheberin unversehens auf, hat er zu tun und eilt forschen Schrittes dringenden Aufgaben entgegen.

Lange Jahre konnten ihm dabei die gewählten Mandatsträger in der Hauptstadt ein leuchtendes Vorbild sein: Die Bundestagsabgeordneten hatten kein Problem damit, dass die dienstbaren Geister des hohen Hauses von einer örtlichen Reinigungsfirma deutlich unter Tarif bezahlt wurden. Erst im Frühjahr 2007, als eine Lohnuntergrenze für die Beschäftigten von Gebäudereiniger-Firmen – 7,87 Euro im Westen und 6,36 im Osten – beschlossen wurde, sah man sich gezwungen, im Parlament für gleiche Verhältnisse zu sorgen.

Ausbeutung und Desinteresse gehören schon immer zum Erfahrungsschatz der Betroffenen, auch wenn sie literarisch umschrieben, bei Festlichkeiten öffentlich ausgestellt oder mit dem Kosenamen „Perle“ versehen werden: Seit dem 19. Jahrhundert lebt die Putzfrau – in jüngerer Zeit auch der Putzmann – mit fehlender gesellschaftlicher Anerkennung und schlechter Bezahlung. Dabei sorgt sie doch dafür, dass eine der gemeinhin als besonders deutsch angesehenen Tugenden Tag für Tag in neuem Glanz erstrahlt: Ohne sie würde die Sauberkeit vielerorts im Schmutz erstarren, leutselige Redewendungen – „Da kann man ja vom Fußboden essen!“ – verlören Sinn und Bedeutung.

Um die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Putzfrau einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, hat das Museum Industriekultur in Osnabrück eine Ausstellung konzipiert: „Die Putzfrau. Vom Dienstmädchen zur Raumpflegerin“ versammelt rund 200 Exponate aus mittlerweile drei Jahrhunderten. Dazu zeigt das Museum Filme und Werbespots, Fotodokumentationen und Interviews sowie Plakate wie den nicht mehr ganz zeitgemäßen Aufruf „Zum Muttertag einen Stolzenberg Teppichkehrer“, unter dem ein Stammhalter den vermeintlichen Traum aller Putz- und Hausfrauen durch die Luft wirbelt.

Die Kontraste zwischen vorsintflutlichem Waschbrett und modernem Reinigungsautomaten, weißem Strickhäubchen und aseptischem Kopftuch, Umweltgiften in Pulverform und ökologisch korrekten Putzmitteln verdeutlichen das Tempo des technischen Fortschritts: Hier wird plausibel, dass es tatsächlich einmal Staubpumpen gab, mit denen die überfüllten, bis an die Decke dekorierten Räumlichkeiten im großbürgerlichen Haushalt angemessen gesäubert werden sollten. Das bizarre Gerät war freilich nur dazu in der Lage, den Staub immer neu zu verteilen und sowohl unter hygienischen als auch unter gesundheitlichen Aspekten ein veritabler Totalausfall.

Die Ausstellungsstücke fügen sich nicht nur zu einem Kuriositätenkabinett. Sie zeigen auch anschaulich, wie ein Beruf aus familiären und häuslichen Strukturen herausgelöst wurde und nun, in der spätkapitalistischen Dienstleistungsgesellschaft, ein anonymes Dasein fristet. Die Gerätschaften sind mittlerweile auf dem neuesten Stand, aber der zwischenmenschliche Kontakt, der ohnehin nie üppig ausgeprägt war, verliert weiter an Bedeutung. „Im 19. Jahrhundert wurden Dienstboten vielfach als Gegenstände betrachtet und durch eigene Räume und Zugänge von den maßgeblichen Hausbewohnern getrennt“, sagen die Ausstellungsmacher Barbara Kahlert und Rolf Spilker. „Wir haben aber auch eine Putzfrau kennengelernt, die seit 29 Jahren in einem Betrieb arbeitet und ihren eigentlichen Auftraggeber noch nie gesehen hat.“

Die Saugcomputer und Hochdruckreiniger unserer Tage haben nicht etwa dazu beigetragen, die Arbeitsbelastung von Putzfrauen entscheidend zu verringern. Zu Wirtschaftswunderzeiten mussten sie 40 bis 50 Quadratmeter in der Stunde reinigen. Heute wollen zwischen 200 und 400 Quadratmetern unter enormem Zeit- und Leistungsdruck abgearbeitet werden.

Ob die Putzfrau klug beraten war, sich vom traditionellen Dienstmädchen zur modernen Raumpflegerin befördern zu lassen, muss bezweifelt werden: Immerhin arbeitet sie nach wie vor an einem Ideal der Sauberkeit, das eigentlich längst überholt ist und sich doch nachwachsender Beliebtheit erfreut. Dass der Sauberkeit – wie dem Fleiß oder der Pünktlichkeit – auch ein Hang zum Kriminellen innewohnt, verdeutlicht die Ausstellung durch einen schwarz ausgekleideten Raum, in dem sich die Besucher nur mit Hilfe schwacher Lichtquellen orientieren können. Hier wird eines der schmutzigsten Kapitel dieses sonst so reinlichen Themas aufgeschlagen: Experten schätzen, dass derzeit gut vier Millionen deutsche Privathaushalte Reinigungskräfte gelegentlich oder sogar regelmäßig beschäftigen. Nur ein Bruchteil von ihnen – etwa 100.000 – sind offiziell gemeldet. Maria S. Rerrich, Soziologin an der FH München, sieht darin nicht nur ein individuelles Fehlverhalten, sondern Hinweise „auf ein massives strukturelles gesellschaftliches Problem, für das ein akuter politischer Handlungsbedarf besteht“. Ausstellungsbesucher bekommen das zu spüren, wenn sie sich im Raum der Schwarzarbeit allzu forsch bewegen und plötzlich gegen eine Wand laufen. „Das ist eben ein Thema“, sagt Museumsleiter Rolf Spilker, „mit vielen Ecken und Kanten.“

bis 19. Oktober 2008, Museum Industriekultur, Osnabrück