Hungersnöte durch steigende Preise

Kommentar von Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft

Hungersnöte durch steigende Preise? Seit Jahrzehnten hungern 850 Millionen Menschen. Sie konnten sich die notwendigsten Lebensmittel schon nicht leisten, als Weizen für weniger als 8 Euro je Doppelzentner verramscht wurde. Von Knappheiten war da noch keine Rede. 80 Prozent der ständig Unterernährten lebten und leben immer noch auf dem Land. Den Landlosen fehlt Zugang zu Boden, Wasser, Saatgut. Den Bäuerinnen und Bauern wurden ihre lokalen Märkte durch subventioniertes Dumping aus der EU und den USA genommen.

Unterernährung und Hunger sind nicht Zeichen von Knappheit, sondern Ergebnis einer gewollten Handelspolitik, die Märkte erobert, um sie zu kontrollieren und Menschen abhängig zu machen. Der ehemalige US Außenminister Henry Kissinger sagte einmal: „Kontrolliere die Nahrung, und du kontrollierst die Menschen.“ Gegen diese Entwicklungsstrategie der Abhängigkeiten muss es jetzt darum gehen, sowohl in Entwicklungsländern als auch bei uns lokale Märkte wieder in Besitz zu nehmen und regional kostendeckende Preise für die bäuerlichen Betriebe langfristig durchzusetzen. Nun sind innerhalb kurzer Zeit die Preise für Lebensmittel sprunghaft gestiegen. Und das, obwohl weltweit noch genügend Getreide vorhanden ist, trotz Agro-Energie. Den Börsenspekulanten reichten schon die Prognosen über zukünftigen Mangel, auch durch steigende Agro-Treibstoffproduktion, um sich satte Milliardengewinne zu bescheren und die Preise für Terminkontrakte und schließlich auch für die tatsächlich gehandelte Ware vor sich her zu treiben. So kommen zu den Hungernden auf dem Land die armen Menschen der Megastädte hinzu.

Aber es sind nicht nur die Menschen, die vom Land in die Slums getrieben wurden, deren Proteste Regierungen ins Rutschen bringen. Es sind vor allem die, die in die begrenzt kaufkräftige Mittelschicht „aufgestiegen“ sind. Ihnen frisst die Teuerung der Lebensmittel jetzt das auf, was sie für das ausgeben „sollten“, was man Lebensstandard nennt. Wohl nicht zufällig rufen IWF und Weltbank jetzt nach frischem Geld für Nahrungsmittelhilfe, damit der Konsum wieder flutscht. In Europa versuchen einige, Hunger und Brotrevolten als Argument zu drehen, um die Industrialisierung der Landwirtschaft bis hin zur patentgestützten Agro-Gentechnik noch weiter auszuspielen. Europa soll die Welt ernähren? Europa ist das größte Importgebiet für Nahrungs- und Futtermittel. Die Exporte an Schweinefleisch und Milchprodukten, die Schlachtbranche, Milchindustrie und Bauernverband noch steigern wollen, hängen unmittelbar davon ab, dass der Soja-Import in die EU überproportional steigt. Schon heute verschlingt unser Fleischkonsum 30 bis 50 Millionen Tonnen Futterimporte im Jahr. Die Schnapsidee vom Agrosprit kommt dazu und hat einige geradezu besoffen gemacht. „Die Bauern sind die Ölscheichs von morgen!“ Weil für Agrosprit in Europa und den USA mehr gezahlt wird als für Mais in Mexiko oder Reis in Thailand, wandert der Rohstoff hierhin.

Der Markt regelt soziale Prioritäten nicht. Er folgt dem Geld. Aber selbst, wenn Europa sowohl Tank, Teller als auch Exporte selbst versorgen könnte, wäre der Ansatz verheerend, von hier aus die Welt ernähren zu wollen. Wir müssen selbst erst mal lernen, die Pflanzen- und Tierproduktion in Europa wieder in ein vernünftiges Gleichgewicht zu bringen. Globale Ernährungssicherung heißt entdecken, wann genug ist. Das fordern auch die 400 Wissenschaftler und 50 Regierungen in ihrem gerade verabschiedeten Weltagrarbericht der Unesco erfreulich klar. Sie fordern eine regional angepasste Landwirtschaft – eine bäuerliche Landwirtschaft, nicht als Auslauf-, sondern als Zukunftsmodell für eine wachsende Weltbevölkerung. Das gilt für den Süden ebenso wie für Europa. Es ist bemerkenswert, wie differenziert und sicher die deutschen Medien über die Hintergründe berichten und die Entwicklungen kommentieren. Die Verbindungen zur Europäischen Agrar- und Energiepolitik werden gezogen und die notwendigen Konsequenzen eingefordert. Die Politik ist am Zug, nicht erst 2013, sondern 2008. Der „Gesundheits-Check“ der EU-Agrarpolitik ist dazu eine aktuelle Baustelle.