Nepal – ein Reisebericht

Die Highlights im Nationalpark haben wenig mit dem Alltag der Bevölkerung zu tun

Traditionelle Reissorten finden immer weniger Verwendung

Zwei Tage Dschungel. Elefanten, Nashörner, Tiger, dachte ich mir, als ich in dem kleinen Dörfchen Sauraha am Rand des Chitwan-Nationalparks in Terai, dem südlichen Flachland Nepals, Halt machte. Gelegen am Rapti River, der die nördliche Grenze zwischen Nationalpark und Pufferzone darstellt, ist Sauraha der optimale Ausgangspunkt um die Flora und Fauna des Parks (70 % Sal-Wald, 20 % Grasfläche mit über 50 verschiedenen Grassorten, 10 % Waldflächen mit weiteren Baumarten, 43 Säugetierarten, z. B. Nashorn, Wildelefant, Hyäne, Lippenbär, Gangesdelphin, bengalischer Tiger, 450 Vogelarten, 45 Amphibien- und Reptilienarten) zu Fuß, per Jeep oder vom Elefantenrücken aus zu erkunden. Wie für die meisten Besucher war zunächst auch für mich das Pflichtprogramm nach Sichtung der großen Säugetiere beendet, jedoch hatte ich das Glück, Ishwori, von Beruf Imker und außerdem Präsident des erst einjährigen Ecological Farmers Forum (EFF), vorgestellt zu werden. So kam es, dass ich, inspiriert von seinem ehrenamtlichen Engagement in der Verbreitung von Know-how über Bienen, Honigproduktion und in den letzten Jahren vor allem nachhaltige Landwirtschaft, tiefer in die Materie eingestiegen bin und letztendlich drei Wochen mit den Aktivisten der Naturschützer, Biobauern und Imkern verbracht habe.

Wenn man hinter die kaum vorhandenen Kulissen schaut, muss einem sofort die schwere wirtschaftliche Lage der Landbevölkerung auffallen. Industrie ist kaum vorhanden und die meisten Familien leben vom Ertrag ihrer Felder. Die Methoden der Landwirtschaft sind urtümlich, fast immer manuell, höchstens mal ein Ochsengespann zum Pflügen. Die bewirtschafteten Flächen sind sehr klein und werden durch die Erbfolge immer weiter geteilt. Dementsprechend groß ist der Nutzungsdruck auch auf den Randflächen des Nationalparks. Um trotzdem genügend Nahrung produzieren zu können, wird die traditionelle Landwirtschaft mehr und mehr aufgegeben und durch „moderne“ Methoden mit unabsehbaren Folgen ersetzt. Beispiel ist die weit verbreitete Nutzung von teuren, angeblich ertragssteigernden Hybridreissorten. Ein illegaler, aber scheinbar unkontrollierter Import aus Indien. Die traditionell verwendeten fünf verschiedenen Reissorten, eigentlich perfekt an die lokalen Bedingungen angepasst, werden immer weniger verwendet, sodass eines Tages deren Verlust und der damit einhergehende Mangel an Saatgut bei Nichtverfügbarkeit der Hybridsorten befürchtet werden muss. Außerdem bedingt die Verwendung der Hybridsorten den Einsatz chemischer Dünger, Pestizide und Insektizide, deren sachgemäße Anwendung durch die hohe Analphabetenrate unter den Bauern oft nicht möglich ist. Im Zweifel wird nach dem Motto „Viel hilft viel“ verfahren. Inzwischen werden die Auswirkungen dieser Praxis bemerkbar. Die Bauern beklagen die abnehmende Fruchtbarkeit ihrer Böden.

Hem Subedi, Vogelspezialist mit langjähriger Kenntnis der Gegend, spricht von mehr und mehr Arten, die einst verbreitet, mittlerweile aber immer seltener gesichtet werden. Grund dafür sei die Vergiftung von Wasserpflanzen, Schnecken, Würmern, Fröschen und Fischen mit chemischen Substanzen und damit das Absterben dieser für Vögel, aber z. B. auch für Schildkröten und Krokodile notwendigen Nahrungsquellen. Den Menschen vor Ort ist diese Entwicklung mit ihren Problemen oft nicht bewusst. Der Wissensstand ist niedrig. Vögel werden oft als Futterkonkurrenten gesehen, und auch Bienenstöcke am Rand von Feldern werden abgelehnt aus Angst, sie könnten von den Pflanzen etwas „wegfressen“.

Genau an dieser Stelle greift die Aufklärungsarbeit der lokalen Umweltschützer und sich formenden Biobauernszene an. Sie versuchen mit Schulungen und Beispielprojekten interessierte Bauern zum Umdenken und Praktizieren einer nachhaltigen Landwirtschaft zu bewegen. Seit fünf Jahren findet einmal jährlich ein von der Bird Education Society Nepal initiiertes Training statt, in dem 30 bis 40 Bauern aus umliegenden Dörfern für eine Woche lang kostenlos unterrichtet werden. Inhalte sind die Wechselwirkungen und Bedeutung von Insekten und Vögeln in einem gesunden Ökosystem, der Einfluss von Chemikalien auf die Nahrungskette, Herstellung und Anwendung von EM-(Effective Microorganisms)-basierten Düngern und Pestiziden, integrierte Schädlingsbekämpfung sowie eine Exkursion zu einer biologisch arbeitenden Kooperative. Die Erfahrungen aus diesen Schulungen sind sehr positiv. Fast alle Teilnehmer möchten die alternativen Methoden ausprobieren, wenn auch nur auf einem Teil ihrer Äcker, da ein Fehlschlag, geringere oder keine Ernte sofort existenzbedrohende Ausmaße annimmt.

Alle Aktivitäten werden komplett aus Eigeninitiative und in ehrenamtlicher Tätigkeit der Nepalesen ausgeführt. Der damit verbundene Einsatz ist enorm, da jeder Einzelne sowieso schon ums wirtschaftliche Überleben, oft als Alleinverdiener der Familie, kämpft. Wenn an einem Tag z. B. im Honigladen von meinem mittlerweile guten Freund Ishwori mal wieder kein Kunde aufgetaucht ist (aufgrund diverser Streiks kommen gerade wenig Touristen), wusste er nicht, wie er am Abend seinen Dal Baht, das traditionelle Reisgericht, bezahlen sollte. In dieser Situation noch 30 bis 50 % seiner Arbeitszeit in die Organisation von Mitgliederversammlungen, Erfahrungsaustausch mit anderen Gruppen usw. zu stecken, würde in Europa wahrscheinlich niemandem einfallen.

ANDREAS NAUMANN