Frühling in Peking

Durch die Olympischen Spiele 2008 in China rückt auch die chinesische Musikszene ins Rampenlicht. Die Sängerin Sa DingDing möchte davon profitieren – wenn da nur nicht das heikle Thema Tibet wäre

Gong Linna ist eine stille Rebellin. In ihrer Kindheit lernte sie ihrer Heimat Guiyang im Südwesten Chinas die Lieder der verschiedenen Volksgruppen kennen, bevor sie in Peking Musik studierte. Nach ihrer Ausbildung überwarf sie sich allerdings mit dem herkömmlichen Musikbetrieb. „Vielen Komponisten, mit denen ich gearbeitet habe, kam es vor allem darauf an, viel Geld zu verdienen“, blickt sie zurück. „Das kann man in China vor allem mit Playback-Konzerten und musikalischen Massenspektakeln.“

Als Gong Linna einer solchen Karriere den Rücken kehrte, erklärten ihre Familie und viele Freunde sie für verrückt. Stattdessen reiste sie durch ganz China, erforschte traditionelle Idiome und entwickelte einen Gesangsstil, der virtuos Elemente verschiedenster Volkskulturen aufgreift: für chinesische Verhältnisse eine unerhörte Pioniertat, ihr Publikum rührte sie damit zu Tränen. Gut, dass sie damit auf den deutschen China-Experten Robert Zollitsch traf. Weil Zollitsch mit seinen kammermusikalischen Arrangements die Stereotype der Kunst- und Volksmusik aufbricht, wird er auch in Fernost als Erneuerer chinesischer Musik geschätzt. Er arrangierte auch zu Gong Linnas vielfältigen Vokaltimbres die passende Begleitung. Seit zwei Jahren lebt Gong Linna nun in Deutschland, in der Wahlheimat fühlt sie sich wie zu Hause: „Ich stamme aus der Stadt, doch die Natur hat einen tiefen Einfluss auf mich gehabt. Jetzt wohne ich im Bayrischen Wald und kann dort jeden Tag in die Berge gehen.“ In China haben Zollitsch und Gong Linna schon einiges Aufsehen erregt, hierzulande harren sie noch der Entdeckung. Mit ihrem hohen Anspruch werden sie nicht zu den Nutznießern einer „olympischen Breitenwirkung“ werden. Durch ihre Engagements in China wägen sie ihre Worte mit Bedacht. „Wir sind nicht berufen, die Situation in Tibet zu kommentieren“, erklärt Robert Zollitsch salomonisch. „Es wird ja auch nicht jeder US-Musiker nach seiner Meinung zu Guantánamo befragt. Wichtig ist, dass wir mit unserer Musik zu einem Wandel beitragen.“ SF

Gong Linna: „Chinese Folk Songs“ (ARC); „Jing Ye Si“ (Kuku). www.gonglinna.com

VON STEFAN FRANZEN

Musik aus dem Reich der Mitte galt bislang als schwer zu vermarkten im Westen. Doch im Vorfeld der Olympischen Spiele, wo sich die Augen der Welt auf China richten werden, wittert so mancher chinesische Künstler die Chance, ins Blickfeld zu geraten. Das gilt für die Sängerin Sa DingDing, die zur jüngsten Generation chinesischer Popstars zählt: Mit gerade mal 25 Jahren hat sie aus Elementen der traditionellen Folklore ihres Landes und Lounge-Elektronika schon ihren ganz eigenen Stil entwickelt. Grund genug für ihre Plattenfirma, sie nun auch im Westen bekannt machen zu wollen.

Das allerdings hatte man sich dann doch wohl ein wenig anders vorgestellt. Denn als Sa DingDing jüngst das erste Mal nach London flog, um dort gleich den World Music Award der BBC entgegenzunehmen, waren gerade die Proteste in Lhasa eskaliert. Die Presse stürzte sich mit Interviewanfragen auf sie, und plötzlich saß die Chinesin wie auf einem Nadelkissen. In ihren Interviews gab sie sich trotzdem selbstbewusst und versuchte englisch zu reden – und das heikle Thema Tibet zu umschiffen.

Genug zu erzählen gibt es bei ihr allemal. Das fängt schon bei ihrem Namen an: „Sa ist ein alter mongolischer Klan-Name“, klärt sie über ihren familiären Hintergrund auf. „Ich bin bei meiner Großmutter in der Inneren Mongolei aufgewachsen. Es gab kein Zeitgefühl. Dafür wurde überall gesungen, die Lieder und der Klang der Pferdekopfgeige tönten weit über die Grassteppe. Seitdem bedeutet Musik für mich vor allem eines: Freiheit.“

Diese Freiheit nahm sie sich auch während ihrer gesanglichen Ausbildung. Im Jugendchor fiel sie auf, weil ihre Stimme so seltsam klang, dass sie nicht zu den anderen Mädchen passte. Später belegte sie Kurse in Musikphilosophie und klassischer Gesangstechnik und entdeckte ihre Lust an Experimenten mit Oper, traditioneller Musik und Pop. „I needed freedom. Freedom.“ Sie sagt es tatsächlich zweimal, mit Nachdruck.

Kaum volljährig, bringt sie ihre Debüt-CD heraus, die sie in allen Altersgruppen populär macht. Von da an ist sie regelmäßig in den chinesischen Medien präsent und tritt in perfekt choreografierten Shows auf den größten Bühnen des Landes auf. Dass sie ausgesprochen apart aussieht, sich ein exotisch-mysteriöses Image gibt und gerne extrem ausgefallene, selbst entworfene Kleider trägt, hat ihrem Erfolg sicher nicht geschadet. Jüngst hat Chinas Kultautor Cai Jun sie gar zur Titelheldin eines Serienthrillers erkoren, der sich bislang gut verkauft.

Mit ihrem neuen Album „Alive“ will Sa DingDing nun erstmals auch im Westen auf sich aufmerksam machen. Ihr plakativer Ethnopop mit Klangtupfern aus verschiedenen chinesischen Provinzen und seinen Reminiszenzen an ihre nomadische Kindheit segelt hart am Wind zwischen kitschig und catchy. Geschickt sind Folklore-Schnipsel in die monströsen Rhythmusparts eingebettet, der Klang der Bambusflöte und der chinesischen Wölbbrettzither gu zheng verströmen zartes lokales Kolorit.

Der chinesische Mandarindialekt ist nur eines der Idiome, derer sie sich bedient: Sie hat auch ihre eigene Kunstsprache entwickelt und sich fremde Sprachen angeeignet. So rezitiert sie im Titelstück das buddhistische 100-Silben-Mantra. „Ich habe alte Bücher auf Sanskrit zur Hand genommen und gemerkt, dass beim Lesen ein sehr natürlicher Fluss, eine ursprüngliche Melodie entsteht“, behauptet sie. Der Videoclip zu dem Song wurde nahe bei Lhasa gedreht und zeigt eine farbenprächtige Szenerie aus dem alten Guge-Königreich: ein unverfänglicher Tibet-Romantizismus, der momentan bei vielen chinesischen Sängern und Filmemachern en vogue ist und auch bei der jungen Generation gut ankommt: Ein leicht konsumierbarer New-Age-Mystizismus hat inzwischen auch Chinas Mittelschichten erreicht.

Solange sich die Begeisterung für Tibet nur an so harmlosen Dingen wie Sprache und Folklore festmacht, hat niemand in Peking etwas dagegen. Denn Tibets Kultur und Religion werden in China nicht unterdrückt, nur die Autonomiebestrebungen und der Dalai Lama sind den Autoritäten ein Dorn im Auge.

Über die offizielle Position geht Sa DingDing nicht hinaus, wenn sie sagt: „Die tibetische Kultur ist ein sehr wichtiger Teil der chinesischen Kultur, denn sie ist geheimnisvoll, charmant und hat ihren eigenen Duft.“ Gleichwohl wolle sie gerne „eine Brücke sein zwischen Ost und West“.

Das sind akkurat abgezirkelte Worte, so durchdacht wie ihr Umgang mit ihrem musikalischen Material. „Weil ich so viele verschiedene Sprachen benutze, die viele Leute nicht verstehen, konnte ich die Einmischung in meine Musik auf ein Minimum reduzieren“, sagt sie zum Thema Zensur. Und auch über Olympia lässt sie sich kaum ein Wort entlocken – außer, dass sie sich auf ihren Auftritt dort freut. Den Rest muss man, wenn man will, zwischen den Zeilen lesen.

Sa DingDing: „Alive“ (Wrasse/Harmonia Mundi). www.sadingding.co.uk