Das Sterben des Kindes in Kauf genommen

Vor dem Schweriner Landgericht hat der Prozess gegen die Eltern der verhungerten Lea-Sophie begonnen. Anklage geht von Mord durch Unterlassen aus. Der Vater räumt zwar Versagen ein, weist aber jeglichen Tötungsvorsatz zurück

Vor dem Schweriner Landgericht hat am Dienstag fünf Monate nach dem Hungertod der fünfjährigen Lea-Sophie der Prozess gegen die Eltern begonnen. Die Anklage wirft der 24-jährigen Mutter Nicole G. und dem 26-jährigen Vater Stefan T. Mord durch Unterlassen vor. Sie hätten das Mädchen „gequält und roh misshandelt“, sagte Staatsanwalt Jörg Seifert zu Beginn des Verfahrens.

In einer von seinem Anwalt Ralph Schürmann verlesenen Erklärung räumt Stefan T. Versagen ein. Er habe die Augen vor dem Zustand seiner Tochter verschlossen. Seine Frau habe sich um das Kind gekümmert, er mehr um die Haustiere. Nach der Geburt ihres Bruders Justin im September 2007 habe das Mädchen kaum noch Nahrung zu sich nehmen wollen. „Ich hatte gehofft, dass alles von allein wieder normal wird“, beteuert Stefan T. Aber alle Appelle seien ergebnislos geblieben. „Ich habe als Vater versagt. Es tut mir unendlich leid.“ T. hatte am 20. November eigenen Angaben zufolge noch gegen den Willen seiner Lebensgefährtin den Notarzt gerufen. Das völlig abgemagerte Kind starb kurze Zeit später in der Klinik. Die Mutter schweigt zurzeit vor Gericht.

Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft hat Lea-Sophie vor ihrem Tod ein Martyrium erlitten. Das Kind habe kaum noch zu essen und zu trinken bekommen. Es sei weder gepflegt noch an die frische Luft gebracht worden. Zuletzt habe Lea-Sophie sogar in Kot und Urin liegen müssen und zahlreiche Geschwüre sowie schmerzhafte offene Stellen am Körper gehabt, die bis auf den Knochen reichten.

Die Eltern seien gefühlskalt sowie mitleidslos gewesen und hätten sich irgendwann mit dem möglichen Tod des Kindes abgefunden, so Seifert. „Wir gehen vom Mordmerkmal der Grausamkeit aus.“ Lea-Sophie wog bei Einlieferung in die Klinik bei einer Größe von 95 Zentimetern nur noch etwa 7,4 Kilogramm. Normal wäre mindestens das Doppelte gewesen.

Der Tod von Lea-Sophie hatte deutschlandweit Entsetzen ausgelöst und eine breite Debatte über den Schutz von Kindern und politische Konsequenzen wegen Versäumnissen und Fehlern der Behörden entfacht. Lea-Sophies Großvater hatte das Jugendamt mehrfach über die Missstände informiert. Das Jugendamt der Stadt und Oberbürgermeister Norbert Claussen (CDU) stehen nun unter starkem Druck. Auch ein Untersuchungsausschuss hatte festgestellt, dass der frühe Tod des Kindes vermeidbar gewesen wäre.

KAI VON APPEN