Zerfaserte Knochenarbeit

Bremens neue Chef-Ausgräberin heißt Uta Halle. Sie steht für einen politischen Blick auf’s Fach, der freilich auch auf dessen Strukturen Not tut: Bremen hat einen gedrittelten Landesarchäologen

VON HENNING BLEYL

Bremen hat eine neue Landesarchäologin: Uta Halle, die zuvor als Privatdozentin für Ur- und Frühgeschichte an der Berliner Humboldt-Universität arbeitete. Halle ist bereits seit Mitte März im Amt, durfte für die „Nordsee-Zeitung“ auch schon aprilscherzhalber eine Kaiser Augustus-Statue vor der Bremerhavener Kaiserschleuse bergen. Die offizielle Bekanntgabe der Ernennung steht allerdings aus.

Bereits seit Anfang 2007 ist Halles Vorgänger Manfred Rech im Ruhestand, die Regelung der Nachfolge ist jedoch eine hochkomplexe Angelegenheit mit zahlreichen Beteiligten: Die Landesarchäologin ist in Personalunion auch Leiterin der Abteilung für Frühgeschichte im Focke-Museum und Lehrstuhlinhaberin an der Universität. Eine solche Ämter-Summierung ist bundesweit einmalig.

Archäologie ist – neben dem Denkmalschutz – die einzige gesetzlich geregelte Pflichtaufgabe des Staates im Kulturbereich. Nichtsdestotrotz gibt Bremen für die Bezahlung seiner Landesarchäologin keinen Euro aus: Die Stelle wird komplett von der Universität finanziert. Diese auf den ersten Blick so kostengünstige Lösung hat zur Folge, dass die nicht-universitären Mitglieder der Findungskommission kein Stimmrecht haben. Weder der Focke-Direktor als künftiger partieller Vorgesetzter, noch der fachlich Verantwortliche im Kulturressort.

Mit etwa 400.000 Euro im Jahr finanziert das Land den personellen „Unterbau“ der Landesarchäologin. Eigentlich genug, um bei dessen Auswahl mitbestimmen zu dürfen, für die allerorts anfallende Knochenarbeit freilich viel zu wenig: Schon lange sind in Bremen nur noch Notgrabungen auf Baustellen, aber keine systematischen Forschungsgrabungen möglich.

An der mageren personellen Ausstattung mit fünfeinhalb Stellen – der Zivi-Posten ist vakant – wird die neue Chefin wenig ändern können. Aber immerhin kommt Bewegung in die katastrophale Raumsituation: Seit über 20 Jahren ist das Landesamt in Behelfsbaracken in Horn untergebracht, die keinerlei Sicherheitsanforderungen entsprechen. Es gab bereits mehrere Einbrüche. Das Provisorium entstand, als der damalige Landesarchäologe Karl-Heinz Brandt Anfang der 80er in einer Nacht- und Nebelaktion aus seinen gut eingerichteten Diensträumen im Focke-Museum auszog, weil er mit dessen Direktorin hoffnungslos zerstritten war.

Solche sachfremden Wirrungen haben in der strukturell zerfaserten Geschichte der Bremer Archäologie durchaus ihren Platz. Brandts Zerwürfnis mit der Focke-Direktorin hatte seinen Ursprung in einer eigentlich unwichtigen Misslichkeit: Brandt war während des sensationellen Funds der mittlerweile im Schifffahrtsmuseum ausgestellten Hanse-Kogge auf Dienstreise, während die zur Bergungsstelle geeilte Direktorin größte mediale Aufmerksamkeit genoss. Die Dauer des Baracken-Daseins wiederum war nicht unabhängig vom Umstand, dass der Archäologe um die Ecke wohnte.

Nun aber besteht die Möglichkeit für das Landesamt, in die Überseestadt zieht. Nach vergeblichen Bemühungen um die ehemalige Energieleitzentrale gegenüber des Speichers XI geht es jetzt um die ELT-Werkstatt: Der zweigeschossige Ziegelbau mit rund 1.600 Quadratmetern Nutzfläche liegt hinter der zum „BLG-Forum“ umgewidmeten Staplerhalle. Derzeit gehört sie der Bremer Investitionsgesellschaft, Bauunternehmer Klaus Hübotter strebt den Kauf und die Weitervermietung an.

Inhaltlich steht Halle für einen durchaus politischen Blick: Neben klassischen Frühgeschichtler-Schwerpunkten wie Keramik und archäologische Dorfuntersuchungen, beschäftigt sie sich vor allem mit der Instrumentalisierung des Fachs im Nationalsozialismus. Sie publiziert unter anderem über die Versuche, die Externsteine bei Paderborn als „germanisches Stonehenge“ zu interpretieren.