Couscousgenuss

Orientalische Küche klingt nach Imbissbude. Sie hat ihr Schmuddelimage völlig zu Unrecht. In ihr verschmelzen Orient und Okzident, und heraus kommt die wahre Fusionsküche

VON TILL EHRLICH

„Fusionsküche“ war ein schreckliches Wort, das glücklicherweise wieder out ist. Doch das Phänomen ist geblieben. Während die deutsche Regionalküche einerseits im Sinne einer neuen kulinarischen Ökospießbürgerlichkeit zitiert wird – zwischen Biokost, Sonntagsbraten und Manufactum-Gemütlichkeit –, wird sie andererseits vom euroasiatischen Cross-over persifliert. Dabei geht es um edles Essen für edle und reiche Menschen. Oder um das, was dafür gehalten wird. Seltsamerweise wird dies meist mit asiatischer Küche in Verbindung gebracht, sie ist momentan unfassbar hip und treibt besonders in der Sternegastronomie seltsame kulinarische Blüten, wie Sashimi vom Kalbskopf, Parmaschinken in Tandoori-Schmand oder Tafelspitz an Wasabigelee. Eine postmoderne Achterbahnfahrt der Kulinaria, die eher erschöpft als Genuss bereitet.

Wem dies zu affig ist, der sei an die orientalische Küche erinnert. Sie wird momentan von der ambitionierten Küche ignoriert und hat hierzulande ein Schmuddelimage. Meist wird sie der Imbisskultur subsumiert, die, was in der Natur der Sache liegt, natürlich weder ökologisch noch gesund ist. Doch wenn es je eine Fusionsküche jenseits aller Moden gab, in der heterogene kulinarische Kulturen miteinander verschmolzen sind, dann ist dies wohl die orientalische Küche. Genauer: Es sind die kulinarischen Kulturen und Traditionen zwischen Okzident und Orient, die freilich zu mannigfaltig sind, um ihnen im Schnelldurchlauf gerecht werden zu können. Auch mit dem Begriff der arabischen Küche kommt man hier nicht weiter, da die Küchenkulturen des Orients über das Arabische hinausgehen, etwa aus der persischen Küche ihre sinnstiftenden Geschmäcker beziehen, die wiederum auf höfische Kulturen der Babylonier zurückgeht. Dies zeigt sich bis zum heutigen Tag etwa in der Art des Würzens. So wird im Nordiran vollkommen subtiler und differenzierter gewürzt als im südlichen Iran, wo das Klima wärmer ist, was sich beispielsweise an der Allgegenwärtigkeit von Rosenwasser und Pistazien erschmecken lässt, die im Nordiran weitgehend unbekannt sind. Die arabische Küche ist nomadisch in ihren Wurzeln. Typisch sind die archaischen Spieße aus Lamm und Ziegenfleisch. Gemüse ist köstlich, wird aber lange geschmort und oftmals zerkocht. Auffällig ist auch die starke Dosierung der Gewürze, die aphrodisierend wirken sollen. Je älter ein Mann ist, desto stärker gewürzte Speisen soll er verzehren.

Zwischen Okzident und Orient hat sich im Spannungsfeld von Islam, Christentum und Judentum kulinarische Geschichte ereignet. Und hier sind alle durchgezogen: sephardische Juden, Christen, Phönizier. Dschihadkrieger, Kreuzritter und Pilger. Sie alle haben kulturelle Spuren hinterlassen – auch in den Kochtöpfen. Die Kulinaria von antiken Hochkulturen, wie der persischen und babylonischen, sind mit bäuerlichen und nomadischen Kochtraditionen der Araber verschmolzen. Besonders lässt sich dies in der marokkanischen Küche wahrnehmen. Sie oszilliert einerseits zwischen arabischen und nomadischen Einflüssen, andererseits zwischen persischen Kochtraditionen und solchen, die auf das maurische Spanien zurückgehen. Spannend ist es, hier die Spur des Safrans zu verfolgen, der bekanntlich nicht nur sündteuer ist und den Kuchen gelb macht, sondern eine hochkomplexe aromatische Spur in einer Speise hinterlassen kann. Sein geschmackliches Spektrum reicht von süß, sauer, bitter bis salzig. Safran, der Stempelfaden einer wilden Krokusart, ist ein edles Würzmittel. Und er ist ein Grenzgänger, kann ungewöhnliche Geschmacksbilder und Potenzen in einer Speise zum Vorschein bringen.

Die Idee, wie man mit Safran kochen kann, ist wohl von Persien aus in die nordafrikanischen Küchen gelangt. Marokko war das Machtzentrum der Almoraviden und Almohaden, Berberdynastien, die zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert über Nordafrika und Spanien herrschten. Machtzentren zogen magnetisch den kulinarischen Reichtum ferner Regionen an, und ihre Hofküchen wurden zu Experimentierstätten, zu Labors kulinarischer Kreativität und Verfeinerung. So entstand in Marokko ein Spannungsfeld zwischen den bäuerlichen Kochtraditionen der Berberstämme und den königlichen Küchen der marokkanischen Dynastien. Diese wurden vom maurischen Spanien ebenso beeinflusst wie vom mittelalterlichen Bagdad. Zwischen dem siebten und dem vierzehnten Jahrhundert erlebte Marokko immer wieder islamische Eroberungswellen der Araber. Da in dieser Zeit Bagdad die Hauptstadt des islamischen Reiches war, öffnete sich Marokko damit auch dem kulinarischen Einfluss Persiens und übernahm allmählich dessen hoch entwickelte Küchenkultur. Diese Ereignisgeschichte erzählt auch der Safran.

Eine andere Spur sind die Couscousgerichte, die auf nomadische Strömungen in der marokkanischen Küche verweisen. Darin ist auch die ländliche Tradition der Berberstämme aufgehoben. Die Berber waren Hirten und Krieger, die in Zelten lebten; es gab das Fleisch der Herde, etwas Weizen- und Gersteanbau für Couscous. Auch Tajine ist ein nomadisches Kochgerät. Der archaische Schmortopf, der ins offene Feuer gestellt wurde und mit dem sich wunderbar schmoren lässt. Demgegenüber gibt es eine ausgefeilte feine bürgerliche Küche in Fes, Meknes und Marrakesch. Hier haben sich andalusische Araber, die Mauren, nach ihrer Vertreibung aus Spanien im Zuge der Reconquista niedergelassen. Die marokkanische Küche gilt immer noch als feinste Küche Nordafrikas. Sie überzeugt mit Couscous, Pasteten und Tajines, also raffinierten Kombinationen aus Fleisch und Früchten. Das Geschmacksspektrum bewegt sich zwischen süß, salzig und scharf. Die Kombination von süß und sauer ist nicht üblich, aber die von süß und salzig. Es wird viel mit Zucker und Honig gekocht.

Zu den wichtigsten marokkanischen Würzzutaten gehören in Salzlake eingelegte Zitronen. Sie verlieren durch das Salz ihre aggressive Säure. Ganz anders dagegen ist der Einsatz der Zitrone in der persischen Küche, wo mit getrockneten Zitronen gekocht wird. Sie sehen schwarz aus, sind fermentiert im trockenen Klima der Hochebenen des Nordirans. Auffällig an der persischen Küche ist ihr vollkommener Verzicht auf Essig. Dafür wird viel mit säurehaltigen Fruchtsäften geschmort, etwa mit unreifem Traubenmost oder dem Saft von Bitterorangen. Fasan, der sehr langsam mit Walnüssen in Granatapfelsaft geschmort wird, ist ein Höhepunkt der gehobenen persischen Küche. Sie ist wohl die französische unter den Küchen des Orients. Doch sie ist nicht in einer festen Abfolge strukturiert wie die französische Küche. Es gibt keine Menüfolge, sondern eher eine stetige Anhäufung von immer mehr Speisen auf der Tafel, die alle gleichzeitig genossen werden. So entsteht ein äußerst sinnenfrohes Mahl, das der Fülle huldigt und so Gegenwärtigkeit schafft.

Als die Achtundsechziger begannen, das Land zu durchlüften, waren sie auch von der Sinnlichkeit des orientalischen Couscous angetan. Es war die Freude, mit Händen essen zu dürfen und dabei aus vielen Schälchen probieren zu können. Couscous stand für einen kulinarischen Gegenentwurf, der die freudlosen Tischregeln der Adenauerzeit infrage zu stellen begann. Gegen das leuchtende Gelbgold des Safrans oder den betörenden Duft von Minze, Zitronen und Zimt, die einem marokkanischen Couscous entströmen können, hatten protestantische Speisen wie Königsberger Klopse oder Labskaus mit ihrem faden Anblick keine Chance.

TILL EHRLICH, Jahrgang 1964, serviert die taz-Sättigungsbeilage