China beschuldigt „Dalai-Clique“

Für Chinas Premierminister Wen Jiabao sind die Proteste und die Gewalt in Lhasa allein ein Manöver des Dalai Lamas, um die Olympischen Spiele in Peking zu stören

PEKING taz ■ Bei der Pressekonferenz in Pekings Großer Halle des Volkes hat Premierminister Wen Jiabao am Dienstag erklärt, wer nach Ansicht seiner Regierung schuld an den Protesten und der Gewalt in Tibet in den letzten Tagen sei: Nur die „Dalai-Clique“, niemand anders. Es gebe Beweise dafür, dass die Vorfälle in Tibet „von der Dalai-Clique organisiert, gesteuert und angestachelt worden sind“, sagte Wen. Alles andere sei „Lüge“, auch die Behauptung des Dalai Lamas, dass China „kulturellen Völkermord“ in Tibet betreibt. Dahinter stecke das Ziel, die Olympischen Spiele in Peking zu „sabotieren“, um ihre „unsäglichen Ziele“ zu erreichen.

Derweil berichteten exiltibetische Gruppen von neuen Protesten in tibetischen Kreisen der Provinzen Qinghai, Gansu und Sichuan, die früher zu Tibet gehört hatten. Am Montag seien im Kreis Machu 19 Demonstranten bei Protesten erschossen worden, in Aba kamen 20 Menschen ums Leben. Fotos von Erschossenen kursierten im Internet. Auch im indischen Dharamsala, dem Exil des Dalai Lamas, hingen die Bilder der Opfer an Hauswänden. Dabei war nicht klar zu sehen, ob es sich um Tibeter handelte, berichteten Augenzeugen. Insgesamt kamen seit Freitag nach Angaben der Pekinger Behörden 16 Menschen ums Leben, tibetische Exilgruppen sprachen von 99 Toten.

Bereits am Montag war es in Peking zu einer seltenen Mahnwache für die Tibeter gekommen: In der Universität für die Nationalen Minderheiten hatten sich Dutzende Studenten im Kreis auf den Boden gesetzt, Kerzen aufgestellt und schweigend den Kopf gesenkt. So harrten sie mehrere Stunden aus, geduldet von Polizisten, die um sie herumstanden.

In den chinesischen Internetforen blieben regierungskritische Berichte über die Politik Pekings in Tibet gesperrt, während andere Beiträge, deren Autoren sich für eine harte Bestrafung der Protestierer in Lhasa aussprachen, unzensiert kursieren konnten. Die Videofilm-Webseite Youtube blieb blockiert, nachdem dort Bilder aus Tibet aufgetaucht waren.

Bei der Pressekonferenz ihres Premiers reagierten viele chinesische Journalisten mit großem Unverständnis auf die beharrlichen Fragen ihrer ausländischen Kollegen: „Was habt ihr nur immer mit Tibet?“, wunderten sie sich. Dass die Welt draußen sich die Köpfe über die Entwicklung in Tibet zerbricht, über das Für und Wider eines Olympiaboykotts diskutiert, war an vielen vorbeigegangen.

Auf die Frage eines AFP-Journalisten, warum ausländische Korrespondenten nicht nach Tibet reisen dürften, um sich vor Ort selbst ein Bild von den Ereignissen zu machen, entgegnete Regierungschef Wen, man werde „eine Gruppe von Journalisten“ nach Lhasa bringen, sobald es dort wieder ruhig sei.

Zahlreiche Korrespondenten waren in den vergangenen Tagen bei dem Versuch, nach Tibet zu kommen, abgefangen worden. Bereits vor den Demonstrationen, die am 11. März begonnen hatten, durften Journalisten nur mit spezieller Genehmigung in die Himalajaregion reisen. Die größere Reisefreiheit, die Peking den ausländischen Medien vor den Olympischen Spielen gewährt hat, galt nie für Tibet.

Der deutsche CDU-Außenpolitiker Eckart von Klaeden, der sich zurzeit in China aufhält, forderte Peking gestern auf, sofort Medien und internationale Beobachter in Tibet zuzulassen.

Mit der von den Ereignissen in Tibet überschatteten Pressekonferenz des Premiers ging auch der Nationale Volkskongress zu Ende. Dabei waren Premier Wen und Staatspräsident Hu Jintao, der als KP-Chef in Tibet das Kriegsrecht verhängt hatte, für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt und mehrere Minister ausgewechselt worden. JUTTA LIETSCH