Ein Rektor bremst das Schnellabi

Abi nach der 12. Klasse? Einem Schulleiter in Hessen geht das zu schnell. Weil sich trotz Kochs Wahlniederlage vorerst nichts ändert, trickst er: Die Schüler bleiben nach Klasse 5 absichtlich sitzen

VON WOLF SCHMIDT

Ein hessischer Schulleiter will mit einem Trick seinen Schülern ermöglichen, das verkürzte Gymnasium zu umgehen. Wer will, soll an der Gießener Herderschule nach der 5. Klasse einfach sitzenbleiben – und so anstatt des Schnellabiturs nach 12 Jahren das Abitur wie früher erst nach 13 Jahren bekommen.

Die sitzengebliebenen Schüler sollen aber nicht einfach die 5. Klasse wiederholen. Vielmehr will Schulleiter Dieter Gath für sie eine eigene Gruppe bilden, in der nach altem Lehrplan und im alten Tempo unterrichtet wird. Anstatt nach einem Jahr auf dem Gymnasium erhielten die langsameren Schüler dann auch wie früher erst nach zwei Jahren eine zweite Fremdsprache dazu. Das soll den Schülern Entlastung und mehr Freizeit bringen. „Wir wollen zwei Geschwindigkeiten an unserer Schule ermöglichen“, sagt Gath.

Damit nimmt erstmals ein Schulleiter die Reform des umstrittenen achtjährigen Gymnasiums selbst in die Hand, das inzwischen in 14 von 16 Bundesländern flächendeckend eingeführt wurde – begleitet von heftiger Kritik der Eltern, die sich über das hohe Pensum von durchschnittlich mehr als 33 Stunden pro Woche beklagten.

In kaum einem Bundesland wurde die Verkürzung der Gymnasialzeit so heftig kritisiert wie in Hessen. Das bekam Roland Kochs CDU bei der Landtagswahl Ende Januar deutlich zu spüren. Ihr schlechtes Abschneiden wurde auch auf die überstürzte Einführung des Schnellabiturs zurückgeführt. Kultusministerin Karin Wolff (CDU) kündigte daraufhin nach der Wahl ihren Rückzug an.

Ob die hessische Politik noch mal am achtjährigen Gymnasium dreht, ist in der derzeitigen Lage allerdings offen.Union und FDP wollen bei der Verkürzung bleiben. SPD und Linke hatten vor der Wahl angekündigt, wieder zum neunjährigen Gymnasium zurückzukehren, die Grünen wollen beide Geschwindigkeiten ermöglichen. Theoretisch könnten die drei Parteien mit ihrer Landtagsmehrheit Ministerpräsident Koch auch zu einer Änderung zwingen, wenn dieser vom 5. April an geschäftsführend im Amt bleibt.

Auf eine Entscheidung der verworrenen Landespolitik wollte Schulleiter Gath aber nicht warten. „Das achtjährige Gymnasium ist doch nicht naturgegeben“, sagt er. Die Schulkonferenz hat seinem Plan bereits zugestimmt. Die Behörden allerdings sind wenig begeistert. Während es im Kultusministerium heißt, man prüfe juristisch, ob der Vorstoß rechtswidrig sei, wird das Gießener Schulamt konkreter. „Das achtjährige Gymnasium kann man so nicht unterlaufen, das ist eine gesetzliche Regelung“, sagt Schulamtsleiter Heinz Kipp. „Die Schulen sind gezwungen, nach den neuen Lehrplänen zu unterrichten.“

Schulleiter Gath will jedoch nicht so schnell aufgeben. „Ich verstehe nicht, dass man hier gleich die Rechtskeule schwingt“, sagt er. „Warum sagt man nicht: Probiert es, wir schauen, was dabei herauskommt?“