Gestiegene Kosten

Landessozialgericht verurteilt den Kreis Celle, für eine Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaft die wirklichen Unterkunftskosten zu übernehmen – obwohl sie über dem Regelsatz liegen

VON MAGDA SCHNEIDER

Landkreise und die für das Arbeitslosengeld II zuständigen Arbeitsgemeinschaften (Argen) können die Mietkostenzuschüsse für ALG-II-Empfänger künftig nicht mehr schlicht nach dem Regelsatz des Sozialgesetzbuchs II festlegen. Das hat jetzt das Landessozialgericht Niedersachsen–Bremen in Celle entschieden: Wenn die Behörden nicht nachweisen können, dass eine Wohnungsmiete gemessen an einem aktuellen Mietenspiegel – oder einer qualifizierten Mietdatenbank – zu hoch ist, müssen im Einzelfall auch Kosten übernommen werden, die über diesem Regelsatz liegen.

Im konkreten Fall ging es um ein Ehepaar, das zusammen mit einem Sohn eine 94 Quadratmeter große Vier-Zimmer-Wohnung in Unterlüß im Landkreis Celle bewohnte. Die Mietkosten beliefen sich monatlich auf 451 Euro inklusive Nebenkosten. Hinzu kamen 38,54 Euro pro Monat an Heizkosten. Zwischen April und September 2006 hatte der Landkreis Celle nur Unterkunftskosten von monatlich 270,85 Euro bewilligt und die Heizkosten übernommen. Begründet wurde dies mit einigen günstigeren Wohnungsangeboten.

Im Prozess vor dem Sozialgericht Lüneburg erkannte der Landkreis dann Kosten nach der Mietstufe II des Wohngeldgesetzes für einen 3-Personen-Haushalt an – in Höhe von 410 Euro im Monat. Das hielt das Landessozialgericht nun für „unzureichend“ und urteilte, dass der Kreis die tatsächlichen Unterkunftskosten der Familie zu übernehmen habe.

Da es keinen Mietenspiegel gebe und es keine verlässlichen Erkenntnismöglichkeiten einer Angemessenheitsgrenze gibt, zog das Gericht die Tabelle des Wohngeldgesetzes heran und gewährte der Familie überdies einen Zuschlag von zehn Prozent. Mit diesem Zuschlag sollte berücksichtigt werden, dass die Wohnnebenkosten seit 2001 „ernorm gestiegen“ seien. Damals war das Gesetz formuliert und seitdem nicht verändert worden. Somit wurden aus den bereits anerkannten 410 Euro Miete 451 Euro. Das entsprach exakt – und laut Gericht „zufällig“ – den tatsächlichen Unterkunftskosten der Familie.

„Das Urteil hat erhebliche kommunalpolitische und landespolitische Dimensionen“, sagt der Hamburger Sozialrechts-Rechtsanwalt Rolf Geffken. „Die Rechte von Hartz IV-Empfängern sind entscheidend gestärkt worden.“ Diese müssten sich nun nicht mehr für die Höhe ihrer Miete kritisieren lassen und einen „Zwangsauszug“ hinnehmen, so Geffken, der sich im Landkreis Cuxhaven kommunalpolitisch für die Partei Die Linke engagiert. Er rechne nun mit „einer gigantischen Welle, was Klagen betrifft“.

Allein in Niedersachen gebe es 340.000 so genannter „Bedarfsgemeinschaften“ wie jene Familie aus dem Kreis Celle, rechnet Geffken vor. Schon im eigenen Interesse dürften die Kommunen jetzt ein Interesse daran haben, belastbare Mietenspiegel zu erstellen. Eine Revision gegen sein Urteil hat das Landessozialgericht nicht zugelassen.