jugend liest
: Bilderbücher mit surrealen Kicks

Die Kinder werden größer, die Bücher kleiner und dicker. Die großformatigen Bilderbücher hingegen wandern in einer Kiste auf den Boden. Wenn man die Kiste irgendwann wieder herunterholt, kriegt man einen doppelten Schreck. Was da für tolle Sachen drin sind – und die haben wir mal aussortiert? Was da für geschmacklose Sachen drin sind – und das haben wir mal vorgelesen? Ja, oft lieben Erwachsene wohl weniger die Bilderbücher selbst als die Zeit, die sie mit ihnen und ihren Kindern verbringen.

Ein neues Buch, das unabhängig von den eigenen Kinderphasen Freude machen wird, heißt „Hast du meine Schwester gesehen?“. Obwohl für Dreijährige gemacht, bringt es einen zum Lachen. Das Kind fragt eine Frau nach ihrer Schwester: „Sie ist größer als ich. Sie hat blaue Augen. Und sie hat eine Jacke mit Taschen an.“ Der Trick besteht darin, dass man von der Frau erst nur den Kopf sieht, dann eine halbe Seite umklappen kann und ein skurriler Mantel mit beuteligen Taschen sichtbar wird. So begegnet man vielen grotesken Figuren, bis die Schwester mit gelber Mütze und Taschenmantel auftaucht. Einfache Idee – unnachahmlicher Strich.

Das gilt auch für „Pech und Glück eines Brustschwimmers“. Der schwimmt ins Meer hinaus, und als er müde wird, treibt zufällig ein rotes Schlauchboot vorbei – „das war Glück“. Doch dann begegnet ihm ein großer, hungriger Wal und – genau, „das war Pech“. So geht es weiter, mit scharfen Farbkontrasten und karikierten Szenen. Der Brustschwimmer begegnet einem Affen in einer Telefonzelle, einem Schiffbrüchigen auf einem Briefkasten und anderen merkwürdigen Figuren.

Von eher stiller Stimmung ist die Geschichte von Petra und ihrem Opa. Die beiden wohnen in Andalusien, und jeden Morgen weckt Opa Juanito seine Enkelin, indem er ihr eine frische Orangenscheibe in den Mund steckt. „Petra, mein Liebling, probier ein Stück von der Sonne“, sagt der Opa zu ihr, und als Petra den süßen Saft der Orange schmeckt, schlägt sie die Augen auf und sagt: „Guten Morgen, Opa Juanito!“ In dem Buch spielt die Farbe Orange natürlich eine besondere Rolle. Doch als der Opa krank wird, verblassen auch die strahlenden Farben. Nur die Apfelsine, mit der Petra ihn nun füttert, hängt knallig wie eine Mittagssonne am Himmel.

Von den Farben lebt auch das Geburtstagsfest, das die Schnecke feiert. Das Eichhörnchen ist rot, die Schnecke giftgrün, der Biber dunkelgrau mit gemustertem Schwanz. Es gibt ein Fest im Wald, zu dem alle Tiere kommen. Die Schnecke hat einen ganz besonderen Wunsch, aber ist der zu erraten? Jedes Tier bringt der Schnecke ein Geschenk mit – ein abgenagtes Stück Holz, Kiefernnadeln, ein rundes Ding aus Wasserpflanzen. Doch erst am Ende kommt das Beste. Die Tiere bauen daraus einen Wagen, mit dem das Geburtstagskind zur rasenden Schnecke wird.

Allen Büchern ist gemein, dass ihre Bilder gerne mit surrealen Kicks arbeiten. Trotzdem sind die Hauptfiguren den Kindern, die in den Büchern blättern sollen, nachempfunden. Sie können sich wiedererkennen und tauchen dabei in eine wundersame, fremde Welt ein. ANGELIKA OHLAND

Joke van Leuwwen: „Hast du meine Schwester gesehen?“ Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2008, 14,90 Euro Martin Ebbertz, Christine Brand: „Pech und Glück eines Brustschwimmers“. Sauerländer, Düsseldorf 2008, 13,90 Euro Natali Fortier, Françoise Legendre: „Orangen für Opa“. Aus dem Französischen von Rosemarie Griebel- Kruip. Sauerländer, Düsseldorf 2008, 13,90 Euro Fiona Rempt, Noelle Schmit: Schnecke wünscht sich was. Aus dem Niederländischen von Maike Blatnik. Tulipan Verlag, Berlin 2008, 12,90 Euro