Der Status der Fotografie

Der Kunstraum Potsdam zeigt Stefan Heynes Fotografien, in denen die Unschärfe zur Methode wird, unsere Vorstellungen über das Medium selbst wie über unsere Wahrnehmung zu irritieren

VON DOMINIKUS MÜLLER

Eigentlich, so dachte man, sei die Frage, ob man es bei Fotografie nun mit Kunst zu tun hat, schon seit längerem mit einem eindeutigen Ja beantwortet. Allerspätestens seit man dank digitaler Fotografie und Bildbearbeitung eine unendliche Fülle an Möglichkeiten zur Hand hat, Bilder in fotografischer Qualität zu produzieren oder zu manipulieren, schien diese Frage obsolet geworden zu sein. Dem Eindruck, dass die Grenze zwischen Fotografie und Kunst nach wie vor umkämpft zu sein scheint, kann man sich jedoch nicht erwehren, wirft man einen Blick auf die Arbeiten, die der Berliner Künstler Stefan Heyne in seinem Buch „The Noise“ und der gleichnamigen Ausstellung im Kunstraum Potsdam versammelt hat.

Heynes Fotografien bedienen sich dabei einer so simplem wie interessanten Strategie: Sie sind stets „out of focus“, unscharf, dies jedoch genauso und nicht anders gewollt – eindeutig das Resultat strenger Komposition statt des Zufalls. Hier findet man aus Prinzip diffuses Licht und weiche Übergänge statt scharfer Kanten und harten, strengen Schatten. Heynes Buch zeigt Fotografien einer Yacht, von Lampenschirmen, Regalen, schlichten Zimmerecken, aber auch mal von einer Leuchtreklame oder einem Telefon. Doch meist ist es nicht möglich – zumindest nicht ohne den Titel und eine gehörige Portion interpretativen Willens – zu erkennen, was hier denn nun fotografiert wurde. Diese Unschärfe scheint jedoch auch die Frage zu affizieren, was diese Bilder denn nun sind und was sie wollen: zunächst natürlich eine Auseinandersetzung mit dem Status der Wahrnehmung. Sie lassen ganz bewusst größtmöglichen Interpretationsspielraum auf Seiten des Betrachters und fragen so danach, auf welcher Seite die von der Fotografie doch so gern abgebildete Realität denn nun liegt: irgendwo da draußen in der Welt oder vielleicht doch in der Wirkmächtigkeit der Einbildungs- und Interpretationskraft eines Betrachters?

Da sie diesen subjektiven Interpretationsspielraum aber einem Medium einräumen, das seine Eigenständigkeit gerade daraus bezieht, dank einer standardisierten technischen Vorrichtung vermeintlich objektiv zu sein, spielen Heynes Bilder aber auch auf den Status der Fotografie selbst an: Sie fragen nach deren Vermögen, ein exaktes Abbild dessen zu liefern, was sich vor der Linse befunden hat. Wo Roland Barthes der Fotografie aufgrund ihrer fotochemischen Indexikalität den durchschlagenden und unhintergehbaren Realitätseffekt des „Es ist so gewesen“ zuschrieb, evozieren Stefan Heynes Fotografien beim Betrachter eher ein zweifelndes „Was kann das wohl sein?“. Und dieser Zweifel entfaltet seine Wirkung eben auch jenseits der Motivebene: Ist das noch Fotografie? Oder schon Malerei? Die verschwommenen Gegenstände lösen sich in der Betrachtung mehr und mehr in geometrische Formen und Farbflächen auf, mit denen sich nach anderen Regeln als denen einer stur technischen Abbildungsapparatur komponieren lässt – eben eher im Sinne der Malerei eines Gerhard Richter und Luc Tuymans, in deren Nähe Gregory G. Knight die Arbeit der Heyne’schen Fotografie in seinem Katalogbeitrag rückt, als puristisch-fotografisch à la Alfred Renger-Patzsch oder Karl Blossfeldt.

Doch noch einmal zurück zur Frage, was denn diese Bilder eigentlich wollen mit ihrer Betonung der Unschärfe. Denn trotz aller Nähe zu malerischen Verfahren streicht Heynes Arbeit immer wieder ihren fotografischen Entstehungsprozess heraus. Diese starke Betonung des Fotografischen und vor allem dessen kritische Hinterfragung wirkt angesichts eines breitenwirksamen Siegeszugs digitaler Bildproduktion und dem damit einhergehenden Wissen über die Möglichkeiten der Manipulation jedoch fast zu dünn, um sich wirklich ein kritisches Surplus zu erwirtschaften. Heynes Bilder werden vor diesem Hintergrund nicht ihres ästhetischen Werts entkleidet, im Gegenteil, die Aufmerksamkeit wird noch viel mehr auf die kompositorische Komponente seiner Werke gelenkt und unterstellt sie eher einem „malerischen“ Diskurs und weniger einem „fotografischen“. Sie werden jedoch zumindest teilweise ihrem immer wieder beschworenen kritisch-reflexiven Stachel einer medientheoretischen Unterfütterung und der intelligenten Auseinandersetzung mit dem technischen Dispositiv der Fotografie und den allgemeinen Mechanismen von Wahrnehmung und Realitätskonstruktion beraubt. Genau damit wird aber diejenige Komponente fraglich, mittels derer diese Bilder ihr Kunst-Sein noch vor einer Nähe zur Malerei im für moderne Kunst üblichen Bereitstellen einer kritischen Dimension medialer Selbstbespiegelung zu begründen versuchen. Übrig bleiben leicht verschwommene Farbflächen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Bis 23. März, Katalog/Buch (Kehrer Verlag) 30 €; heute Abend Diskussionsveranstaltung mit Jörg Heiser (Frieze Magazine; „Und plötzlich diese Übersicht“), Schiffbauergasse 4, Potsdam, 20 Uhr