Um ein Haar dänisch geworden

Seit März darf sich die Schanze offiziell als eigenständigen Hamburger Stadtteil bezeichnen – dabei verschwinden ehemalige historische Grenzen. Altona war einmal dänisches Staatsgebiet und wäre nicht der Deutsch-Dänische Krieg gewesen, köpften heute Altonaer Jugendliche die kleine Meerjungfrau

VON JESSICA RICCÒ

Wann immer mondäne Schanzenbewohner auf kleine Klugscheißer treffen, ist es dasselbe Trauerspiel. „Und wo wohnst du so?“ „In der Schanze.“ Dickes Grinsen. Topp’ das, Schätzchen. „Cool! So richtig?“ „Naja, laut Stadtplan ist das gerade noch Rotherbaum, aber es sind nur fünf Minuten zur Roten Flora!“

Aber: Egal, wie nah die Flora – das Vorzeige-autonome-Zentrum – liegen mag und wie oft die eigene Mülltonne bereits Opfer pyromanischer Demonstranten geworden sein soll – Rotherbaum ist eben doch was anderes und die eigene Geltungsbedürftigkeit damit aufgeflogen.

Doch die Demütigungen sollen 2008 ein Ende haben, denn die Schanze wird ein eigenständiger Stadtteil. Was bisher nur die Schnittstelle zwischen Altona, St. Pauli, Rotherbaum und Eimsbüttel war, darf sich ab März nächsten Jahres endlich Stadtteil Sternschanze nennen und gehört dann zum Bezirk Altona.

Da wohnt man beispielsweise arglos in der Susannenstraße, ahnt nichts Böses und wähnt sich in Hamburg und zack!, schon sitzt man in Altona, ist ja ein Klacks, so eine Grenzverschiebung. Dabei verschwinden hier ehemals historische Grenzen der Stadt. Vor etwa 150 Jahren hätten zahlreiche Schanzenbewohner unter Garantie demonstriert, Mülltonnen angezündet und die Revolution gefordert – denn zu dem Zeitpunkt wären aus den Hamburgern ungefragt Dänen geworden.

Vom Aussterben des Pinneberg-Holsteiner Adels 1640 bis zum Deutsch-Dänischen Krieg 1866 war Altona Teil des Königreichs Dänemark und an manchen Stellen ist das auch heute noch merklich. Wie heißt beispielsweise der kleine Schleichweg vom Kleinen Schäferkamp zur Haltestelle der U3? Dänenweg. Und im Wohlerspark, beziehungsweise friedhof darf man das „Militair-Gravsted for den tidligere Danske Garnison i Altona“ bis heute nicht betreten. Davor warnt auch das Schild: „Diese Rasenfläche ist nicht als Liegewiese oder Spielwiese freigegeben.“

Ganz anders sieht es beim Grab gegenüber aus. Sommers darf man auf dem deutschen Pendant grillen, Tüten rauchen und Hackysack spielen, auch wenn ein wahrer Preuße sich die Mühe machte, akribisch in den Grabstein zu meißeln: „Grabstätte für die Deutschen Bundestruppen in den Jahren 1864-1866. Hier ruhen 26 Österreicher, 12 Hannoveraner, 11 Preußen, 2 Sachsen nebst 4 Angehörigen.“

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Altona sogar die zweitgrößte Stadt Dänemarks nach Kopenhagen – dabei zählten damals auch Schleswig-Holstein, Norwegen und Island zum dänischen Königreich. Den ehemaligen Grenzverlauf in der Schanze kann man nicht zuletzt am Schulterblatt sehen, wo auf der gastronomieorientierten Straßenseite im Boden eingelassene Grenzsteine ein „A“ und ein „H“ erkennen lassen.

Hier Altona, da Hamburg. Hier ehemals Dänemark, bitte Schuhe abtreten und hereinspaziert. Hätte Dänemark besagten Krieg nicht verloren, es hätte ja alles so anders kommen können. Alle paar Monate würden sich Altonaer Jugendliche anschicken, die kleine Meerjungfrau an einem unbeobachteten Fleck der Großen Bergstraße – Pardon „Stor Bjerggade“ – zu köpfen. Das Huset 73 und die Røde Flora hätten noch mehr Zulauf, schließlich dürfte man dort anders als in Hamburg noch rauchen.

„Hätte, hätte“ liegt im Bette. Dänemark bleibt ein ziemlich facettenreicher Tagtraum, für de facto Schanzenbewohner ist relevanter, wo denn nun die neue Grenze verläuft. Die Elite wird ab 1. März vom Schanzenpark bis zur Stresemannstraße und von dort bis zum Fleischgroßmarkt wohnen. Weitere Änderungen wie neue Postleitzahlen gibt es dadurch nicht – aber es geht ja auch viel mehr ums Prinzip, etwas Besonderes zu sein. Jetzt auch offiziell.