Formvollendet

Gute Bücher, kluge Gespräche. Beim traditionellen Saisonauftakt am LCB war man hervorragend aufgestellt

Mit der Auswahl der vorgestellten Bücher soll kein Trend markiert werden

Same procedure as every year: Zum Saisonauftakt im Literarischen Colloquium werden sechs Berliner Autoren und Autorinnen geladen, die in diesen Tagen ein neues Buch veröffentlichen. Same procedure as every year: Man besteht darauf, mit der Auswahl der vorgestellten Bücher keinen Trend markieren zu wollen. Den hätte man als Kritiker natürlich so herzlich gern, und sei es nur, um einen Bogen für den eigenen Text zu finden. Es lag an dem Moderatorenteam Hinrich Schmidt-Henkel und Frank Heibert, die nicht nur emphatisch, sondern auch voll umsichtiger Klugheit mit den Autoren über ihre Bücher sprachen, dass die Frage nach dem Trend am Freitagabend am Wannsee schließlich gar nicht mehr so wichtig schien.

Einzig bei Jörg Albrecht, der wie üblich als Woody-Allen-Verschnitt im Provinz-DJ-Style auftrat und sein neues Buch „Sternstaub, Goldfunk, Silberstreif“ präsentierte, hatte Schmidt-Henkel ein kleines Formtief, was wohl daran lag, dass er sich auf Albrechts Sciencepop-Montage nicht so recht einlassen mochte. Umso erhellender ging es in den übrigen Gesprächen zu. Bei all ihrer Unterschiedlichkeit war den Büchern gemeinsam, dass sie je eine ganz eigene sprachliche Form gefunden haben, die in produktiver Wechselwirkung mit ihrem Inhalt steht. Klingt banal, ist aber längst nicht so selbstverständlich.

Aufschlussreich war der Blick auf die Form gerade auch deshalb, weil einige der vorgestellten Autoren ihren Arbeitsmittelpunkt in anderen künstlerischen Bereichen haben. Wie Cornelia Schleime, die zu den renommiertesten bildenden Künstlerinnen in Deutschland zählt – und die auch im Literaturbetrieb nicht mehr lange unter dem Stichwort Geheimtipp veranschlagt werden sollte. In ihrem Erzähldebüt „Weit fort“ hat sie eine Sprache gefunden, die in dem Changieren zwischen expressiver Lakonie und tastender Poesie ganz und gar betörend ist. Hier leuchtet ein Text, wie es vielleicht nur jemand erreicht, der täglich mit der Farbpalette zugange ist. Christiane Neudeckers Roman „Nirgendwo sonst“ fiel durch seine überraschende, spannungsgeladene Erzähldramaturgie auf; Neudecker arbeitet vor allem als Regisseurin. Für manchen Geschmack ein wenig zu strikt funktioniert das Wechselspiel von Inhalt und Form bei Patricia Görg, die in „Meier mit y“ eine an die mittelalterliche Tradition der Monatsbilder angelehnte Typologie des geizigen Charakters entwirft, dessen vermeintlich absurder Witz reichlich verordnet daherkommt.

Zu schon recht vorgerückter Stunde stellten mit Sherko Fatah und Michael Kumpfmüller die beiden Autoren ihre neuen Bücher vor, auf denen der meiste Augenmerk lag. Sherko Fatah ist mit seinem Roman „Das dunkle Schiff“ für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, der in knapp zwei Wochen verliehen wird. Fatahs Roman beeindruckt durch eine eigenartig zurückgenommene Sprachmelodie, eine kühle Beherrschtheit bisweilen, mit der er ein so aufgeladenes Thema wie den fanatischen Islamismus in den Blick nehmen kann.

Auch Michael Kumpfmüller zeigt sich in seinem neuen Roman „Nachricht an alle“ als präziser und empfindlicher Beobachter der Gegenwart. Kumpfmüller hat vermutlich das Buch geschrieben, an das in diesem Frühjahr die gespanntesten Erwartungen herangetragen werden. Nicht nur, weil schon das Manuskript mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet worden ist, sondern vor allem deshalb, weil man sich von Kumpfmüller, dessen Debüt „Hampels Fluchten“ vor ein paar Jahren als vielleicht kongenialster Ost-West-Roman gefeiert wurde, einen Impuls zur Repolitisierung der Gegenwartsliteratur erhofft. Um seinen Protagonisten Selden, Innenminister eines krisengeschüttelten europäischen Staates, entfaltet Kumpfmüller das soziale Panorama einer kaum fernen Zukunft, das sich von den politischen Schaltstellen bis hinunter zu den Bewegungen auf den Straßen erstreckt.

„Nachricht an alle“ ist nicht nur ein Buch, mit dem Kumpfmüller aufs Neue und mit erstaunlicher Leichtigkeit vorführt, wie große und ausfransende Stoffe erzählbar gemacht werden können – das ist es wohl, was ein Gesellschaftsroman erreichen sollte. Es ist vor allem ein mutiges Buch. Kritischer Psychograph der Gesellschaft einerseits, verwahrt sich der Autor zugleich vor allzu eindimensionalem Parteigängertum und sicher geglaubten Moralzuweisungen. Das wird nicht jeder gern hören. Aber bestechend ist es allemal. Und während die ersten Orkanböen und Regenschauer ums LCB zischen, hat man das gar nicht so unbestimmte Gefühl, dass ein heißer Bücherfrühling ansteht. Wenn das nicht mal ein Trend ist, der Schule machen könnte.

WIEBKE POROMBKA