Kurzes Cocktailkleid, Perlenkette

Auf den Spuren einer Diva: Die Inszenierung „Sonst sagt niemand etwas“ nach Ingeborg Bachmanns Roman „Malina“ lebt vom Schwärmen für eine komplizierte Schriftstellerin. In der Theaterkapelle passt sie gut zwischen Sarah Kane und Silvia Plath

Sie wird von einer Vision entflammt: ein Buch zu schreiben, das alles Unglück heilt

VON ANSGAR WARNER

Sie ist immer noch die Diva unter den deutschen Schriftstellerinnen: Ingeborg Bachmann. Bilder von ihr besitzen längst Kultstatus: im Cocktailkleid und mit Perlenkette bei einer Abendgesellschaft, hochgeschlossen und hochkonzentriert an der Schreibmaschine, im geblümten Kleid auf italienischen Terrakottafliesen. Die Texte der Bachmann sind legendär, doch gerade der autobiografisch geprägte Roman „Malina“ bereitet bei der Lektüre noch immer einiges Kopfzerbrechen. Eine überzeugende Interpretation liefert nun jedoch die Theatergruppe „Bagatelle No. 5“, die in der Theaterkapelle Friedrichshain den modernen Klassiker mit dem Titel „Sonst sagt niemand etwas“ als „Abend für drei Stimmen und Klavier“ auf die Bühne bringt.

Psychedelische Streifzüge durch das Werk von Gegenwartsautorinnen sind an diesem Spielort keine Seltenheit: Im März-Programm der Theaterkapelle steht Bachmann neben einer Silvia-Plath-Inszenierung und dem Sarah-Kane-Stück „4.48 Psychose“. Wie gut sich „Malina“ in das Umfeld einfügt, zeigt bereits der Theaterzettel: Es sind keine Personen angegeben, sondern dreimal „Ich“, gespielt von den UdK-Absolventinnen Franziska Dick, Tanja Fahrtmann und Lisa Scheibner, die auch die männlichen Rollen übernehmen. Die Dreiteilung liegt nahe, denn in Malina monologisieren drei Figuren um die Wette, die Abspaltungen eines einzigen Ichs sind, dem Ich einer namenlos bleibenden Schriftstellerin.

Folgerichtig beginnt das Stück mit einer Verdreifachung. Zunächst ist nur das Schriftstellerinnen-Ich anwesend, im hochgeschlossenen Kleid, neben sich eine Reiseschreibmaschine. Dann treten die anderen Instanzen durch die Tür des Spielraums: ein Ich im kurzen Cocktailkleid mit Perlenkette, ein weiteres Ich in Abendgarderobe. Die Regisseurin Irene Mattioli unterstreicht damit ihre autobiografische Lesart. Die sorgfältig ausgewählten Sechzigerjahre-Schnitte der Kostüme ähneln Kleidern, die auch die Bachmann getragen hat. Der Sixties-Bezug wird verstärkt durch die insgesamt spärliche Ausstattung des Spielraums mit drei alten Telefonen, etwas Dekortapete, einem Lampenschirm. In diesem Setting erlebt das überwiegend junge Premierenpublikum Schlüsselszenen des Romans.

Das Schriftstellerinnen-Ich lebt mit einem mysteriösen männlichen Ich zusammen, Malina. Eines Tages trifft sie auf den Ungarn Ivan, verliebt sich und wird von einer wunderbaren Vision entflammt: ein Buch zu schreiben, das alles Unglück und die Verzweiflung heilen kann, das die Macht hat, die Welt zu verändern. Intimitäten zwischen dem Ich und Ivan fallen im Roman allerdings der Diskretion zum Opfer, und darauf scheint die Inszenierung Bezug zu nehmen. Der Schreibtisch des Schriftstellerinnen-Ichs ist ein Kasten aus Glas, ein Schneewittchensarg, das weiße Bettzeug im Innern bleibt unberührt.

Einen weiteren Schwerpunkt hat die Regisseurin auf die Verbindung von Sprache, Bewegung und Musik gelegt. Die drei Ich-Instanzen bilden ständig wechselnde Raumbeziehungen, gehen wechselnde Koalitionen ein. Die vierte Person auf der Bühne bleibt dagegen stumm. Bruno Franceschini, deutsch-italienischer Jazzmusiker und Liedermacher, steuert per E-Piano einen musikalischen Kommentar bei. Mehr als einen Kommentar sogar, denn die drei auf der Bühne nehmen immer wieder Blickkontakt mit dem Conférencier auf. Gegen Ende des Stücks erlebt man das Ensemble sogar als gemischten Chor. Sie singen das Lied von Prinz Eugen, dem edlen Ritter, eine Erinnerung aus der glücklichen Kinderzeit. Doch die kurze Dreieinigkeit löst sich schnell wieder auf in Selbstzweifel und am Ende in monströse Albträume.

„Es gibt kaum eine andere Autorin der Gegenwart, die den Geschlechterkampf mit dieser Härte thematisiert hat, wie die Bachmann“, schrieb Elfriede Jelinek einmal über ihre 1973 bei einem tragischen Brandunfall gestorbene Kollegin. Bezeichnenderweise verschwindet am Ende des Romans die weibliche Stimme durch eine Ritze in der Wand, die letzten Worte sind: „Es war Mord.“

„Malina“ war zugleich als erster Teil des unvollendet gebliebenen „Todesartenprojektes“ der Autorin gedacht. Der Spielort, die Theaterkapelle im Friedrichshain, passt dazu sehr gut: Sie liegt am Eingang eines Friedhofs.

Wieder am 3. März und 5.–10. März, jeweils 20 Uhr, in der Theaterkapelle 10245, Boxhagener Straße 99