Strafe verhindert

VON BERNWARD JANZING

Der Stromriese Eon hat den Widerstand gegen den Verkauf seiner Stromnetze aufgegeben. Der Konzern bestätigte gestern, dass er sich mit der EU geeinigt habe und sein Netz verkaufen wolle. Die Netze sollen an einen Käufer abgegeben werden, der nicht im Bereich der Stromerzeugung oder -versorgung tätig ist. Nach Informationen aus Branchenkreisen ist vom Verkauf von 10.000 Kilometern der sogenannten Stromautobahnen die Rede. Deren Wert wird auf mehr als 1 Milliarde Euro veranschlagt.

Auch die anderen drei Betreiber von Übertragungsnetzen in Deutschland haben das Thema längst geprüft. EnBW und RWE erklären jedoch, derzeit keine Verkaufspläne zu hegen. „Das Netz ist integraler Bestandteil unseres Geschäftes“, heißt es bei der Firma RWE, die bereits ein umfassendes Gutachten zu dem Thema erstellen ließ. „Für uns gibt es gute Gründe, die Netze bei den Energieversorgern zu belassen“, sagte eine Sprecherin. Vattenfall unterdessen lässt verlauten, man prüfe „aus unternehmerischer Sicht alle Optionen für die Zukunft unserer Höchstspannungsnetze. Dabei sind auch andere Eigentumsstrukturen denkbar“ – was man so interpretieren kann, dass ein künftiger Verkauf durchaus in Erwägung gezogen wird.

Mit dem Verkauf des Netzes und der außerdem angekündigten Veräußerung von Kraftwerkskapazitäten von 4.800 Megawatt ist der Kartellstreit zwischen Eon und der EU beigelegt. Die Kommission in Brüssel teilte gestern nach einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters mit, dass die Verkaufsankündigung zur Einstellung des Kartellverfahrens geführt habe. Die Brüsseler Wettbewerbshüter hatten seit fast zwei Jahren wegen kartellrechtlicher Verstöße gegen den Konzern ermittelt. Mit dem Verkauf der Netze sei Eon einer milliardenschweren Geldstrafe entgangen, war gestern aus der Branche zu hören.

Aber es gibt auch noch weitere Vermutungen. „Man hat das Gefühl, Eon braucht Geld“, sagt Professor Uwe Leprich, Volkswirt an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Saarbrücken. Zumal erst vor wenigen Tagen auch bekannt wurde, dass Eon sich auch von seiner Tochter Thüga trennen will, die Mitgesellschafterin vieler Stadtwerke ist. „Ich vermute, Eon plant Zukäufe, die aber in jedem Fall nicht in Deutschland, vielleicht auch nicht in Europa erfolgen werden“, sagt er.

Auch Christoph Weber, Professor für Energiewirtschaft an der Uni Duisburg-Essen sieht hinter der Eon-Strategie „in erster Linie betriebswirtschaftliche Erwägungen“. Denn das Übertragungsnetz werfe inzwischen durch die Regulierung der Netzentgelte seitens der Regulierungsbehörde weniger Rendite ab als andere Sparten im Stromgeschäft. Die Stromerzeugung sei inzwischen das deutlich attraktivere Geschäft.

Aribert Peters vom Bund der Energieverbraucher vermutet unterdessen bei Eon andere Motivationen: Zum einen wolle Eon ein wenig den Druck aus der politischen Diskussion um die Entflechtung der Konzerne nehmen. Zum anderen seien die Hochspannungsnetze in einem schlechten Zustand: „Es wurde jahrelang nicht investiert, jetzt will man die Netze loswerden.“

Peters beruft sich auf einen Bericht der Bundesnetzagentur, nach dem die Strommasten der 220-kV-Leitungen in Deutschland im Mittel knapp 50 Jahre und die 380-kV-Masten und Transformatoren immerhin rund 30 Jahre alt seien. Die gewöhnliche Nutzungsdauer betrüge aber für Freileitungen 40 bis 50 Jahre, die von Trafos und Schaltern 35 bis 45 Jahre. „Die 220-kV-Masten sind also im bundesweiten Mittelwert am Ende ihrer Nutzungsdauer angelangt, ebenso die Transformatoren“, sagt Peters.

Professor Leprich rechnet damit, dass die hiesigen Übertragungsnetze Käufer finden werden: „Für langfristige Investoren, die sichere Erträge suchen, etwa Rentenfonds, wären sie trotz geringer Renditen attraktiv.“ Die Frage, wer sich am Ende in die deutsche Infrastruktur einkaufen darf, wird dann politisch zu entscheiden sein. Für Peters steht die Richtung fest: „Der Staat muss die Netze übernehmen.“ Denn die Stromnetze seien zu wichtig, als dass man sie Unternehmen überlassen dürfe, die nur auf Gewinnmaximierung aus sind.

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