Bayern strauchelt in seiner Paradedisziplin

Bisher galt Bayern als Pisa-Champion. Nun merken die Bürger, dass es an Hauptschulen und Gymnasien zugleich brennt

MÜNCHEN taz ■ Plötzlich rufen die treuesten Verbündeten: Der Kaiser ist nackt! Bayern, bislang als unumstrittener Pisa-Champion bekannt, mutiert in der jüngsten Focus-Ausgabe zum Bildungsverlierer. Auf zwei Seiten beschreibt das Leib- und Magenmagazin des CSU-Spezis Hubert Burda das Elend der bayerischen Hauptschulen. „Es brennt in der Bildungsversorgung“, heißt es da. Die Hauptschule sei auch in Bayern „Restschule“ und solle mit der Realschule fusionieren.

Bayerns Schüler stehen stets oben bei der Schulstudie Pisa. Aber in der letzten Zeit haben nicht nur konservative Blätter erkannt, dass der schöne Pisa-Schein bei genauerem Hinschauen lange Schatten wirft. Zwei von drei bayerischen Eltern zeigten sich bei einer Infratest-Umfrage unzufrieden mit den bayerischen Schulen. Obwohl Bayerns neuer Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) Bildung zum Megathema erklärt hat, würde es fast überall an den Schulen brennen: Haupt- und Ganztagsschulen stehen in der Kritik, auch an Grundschulen und Gymnasien rumort es.

„Uns hatten die Ankündigungen Becksteins im Herbst sehr gefreut“, sagt etwa Klaus Wenzel, der als Präsident des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes 50.000 bayerische Pädagogen vertritt. „Aber wir haben inzwischen den Eindruck, dass das im Wesentlichen Vertröstungen waren.“ 350 Hauptschulen stünden vor der Schließung, weil in der Fläche die Schüler fehlten. Der Ministerpräsident wolle keine Strukturdiskussion, sagte Wenzel zur taz, „aber das wird er nicht durchhalten“. Im Grenzgebiet zu Tschechien verlieren die Schulen bis zu 35 Prozent ihrer Schüler. „Hier funktionieren Konzepte von der Münchner Stange nicht mehr.“

Im November hatte der Lehrerverband 2.000 bayerische Bürgermeister angeschrieben, um ihnen die Idee einer regionalen Schulentwicklung vorzustellen. „500 haben sich zurückgemeldet, die Hälfte sucht das Gespräch, und da sind natürlich auch viele von der CSU dabei“, berichtet Wenzel. Der Lehrerverband schlägt darin unter anderem Dinge vor, die bei der CSU nur in Hinterzimmern geäußert werden dürfen: eine längere gemeinsame Schulzeit über die vierte Klasse hinaus und, je nach Lage, auch ein Zusammenlegen der Schularten. Für die CSU-Ministerialen kommt so etwas nicht infrage. Sie lassen sich auch nicht von Baden-Württemberg beeindrucken, wo die Fusion von Haupt- und Realschulen bereits begonnen hat. 2009 sollen die ersten 5. und 6. Klassen zusammengelegt werden.

Erste Zugeständnisse

Beim anderen Problemthema, dem achtstufigen Gymnasium – G 8 genannt – sind die CSU-Herren zu Zugeständnissen bereit. Stoiber hatte es einst überstürzt eingeführt mit der Folge, dass die Lehrpläne des Kurzgymnasiums so überladen sind, dass die Schüler nachmittags „zumeist völlig ausgelaugt“ (Wenzel) nach Hause kämen. Immer wieder gab es Protest der Eltern – und an diesem Mittwoch, fünf Tage vor der Wahl, hat Beckstein zugesagt, den G 8-Lehrplan zu entschlacken und die Stunden zu reduzieren. „Er sieht wohl die möglichen Auswirkungen bei den Wahlen, sei es kommenden Sonntag, wie auch im September bei den Landtagswahlen“, so der gelernte Hauptschullehrer.

Auch bei den Ganztagsschulen gibt es Probleme. Flächendeckend und rhythmisiert sollten sie sein, hatte Beckstein in einem taz-Gespräch versprochen. „Tatsache ist: Wir haben in ganz Bayern keine echten Ganztagshauptschule, sondern nur Ganztagsklassen“, klagt Wenzel. Und die erfolgreichen rhythmisierten Modelle, die vor sechs Jahren geschaffen worden seien, wären jetzt im Regelbetrieb kaputtgespart worden. Statt 19 zusätzlicher Lehrerstunden pro Woche gebe es nur noch 12 Stunden. Noch schlimmer sei es an Gymnasien, die eigentlich 600 Millionen Euro Ganztagsförderung vom Bund eingestrichen haben. „Hier können wir reihenweise nichts weiter als eine pädagogische Suppenausgabe erleben.“

„Keine Verbesserungen“

Isabell Zacharias ist noch wütender. „Es gibt eigentlich nichts zu sagen, weil noch gar keine Verbesserungen passiert sind“, schimpft die Vorsitzende des Bayerischen Elternverbandes, deren Kinder an ein Münchner Gymnasium gehen. „Herr Beckstein kokettiert immer damit, dass seine Frau Marga vom Fach sei, das hilft in der Sache aber überhaupt nicht weiter.“ Der Ganztagsausbau für Grundschulen sei gestoppt, eine Elitenförderung für Schüler finde nicht statt, aber genauso wenig gebe es eine echte Lernmittelfreiheit für ärmere Eltern. „Und wenn wir diese Sachen jetzt nicht rausschreien, dann geht das Fenster für fünf Jahre zu“, meint Zacharias. Bekennende SPD-Genossin ist sie zwar, aber sie legt Wert darauf, dass ihr Verband überparteilich ist. „Meine Stellvertreterin ist CSU-Stadtratskandidatin in Regensburg.“ Auch da wird am Sonntag gewählt. MAX HÄGLER