Emsland im Papierkrieg

In Meppen, Lingen und in Haren streiten sich Entsorgungsunternehmer und gemeinnützige Vereine um Blaue Tonnen und deren Inhalt

VON BENNO SCHIRRMEISTER

Blut ist noch nicht geflossen. Aber es war schon knapp davor. Denn im emsländischen Altpapierkrieg ist es schon zu mehr als einem Übergriff gekommen, in diesem Monat. Am Donnerstag erst rügte Lingens Oberbürgermeister Heiner Pott eine Entsorgungsfirma aus Wesuwe, weil sie ihre Blauen Tonnen „unangekündigt vor die Haustüren gestellt“ habe. Bei einer Harener Hotline hat Mitte Februar eine Telefonistin entnervt das Handtuch geworfen – wegen dauernder Terror-Anrufe. Mit Knüppeln bedroht und beleidigt worden sind vor zwei Wochen Menschen, die in Meppen-Esterfeld Blaue Tonnen verteilt haben.

In diesem Fall vermutete die Lokalzeitung „Kolpingsympathisanten“ als Urheber. Das Kolpingwerk ist der große katholische Sozialverband. Und im tiefschwarzen Emsland eine Macht. Die Opfer waren Mitarbeiter des Sankt-Vitus-Werks, einer örtlichen Behindertenwerkstatt in katholischer Trägerschaft. Deren Geschäftsführer Bernhard Sackarendts rügte die Vorgänge umgehend. Und betonte dabei, dass man nur als Dienstleister tätig geworden sei. „Wir haben mit dem Papiergeschäft nichts zu tun“, zitiert ihn die Meppener Tagespost. Eine Position der Klugheit, möchte man sagen.

Zahlreich sind die Ursachen des Streits. Dynamische Märkte in Fernost zählen ebenso dazu wie diverse EU-Richtlinien, die weltweite Ressourcenknappheit, die fünfte Novelle der Verpackungsverordnung und ganz sicher die Erdölkosten: Im Oktober 2006 lag der Papierpreis laut dem Fach-Blatt Euwid – Papier und Zellstoff bei 55 Euro die Tonne für Gemischte Ballen, das ist die schlechteste Qualität. Das Gleiche kostete im vergangenen Herbst 90 Euro.

Zum explosiven Gemisch wird das durch regionale Besonderheiten: Im Emsland führen gemeinnützige Organisationen Altpapiersammlungen durch. „Seit 20 Jahren“ sei das so, erklärt Diözesanreferent Manfred Sidelies, der die Kolping-Familien im Landkreis betreut. Etwa 50 seien das, insgesamt spreche er für 80 karitative Gruppen, die flächendeckend sammeln. „Wenn die Erlöse fehlen würden, dann bräche richtig etwas weg.“ Betroffen wären Entwicklungshilfe-Projekte und die lokale Vereinsarbeit.

Die Kolpinger hätten bisher „doch ohnehin nur zweimal jährlich gesammelt“, sagt dagegen Reinhard Schmidt, „und oft ging es da nur um Altkleider.“ Sie kooperieren dafür mit drei Abfuhrunternehmen – die das Hauptgeschäft untereinander aufgeteilt hatten. Die Firma E. S. Entsorgungsservice aus Wesuwe gehörte nicht dazu. Schmidt ist deren Inhaber. Die anderen „wollten doch nur ihr Monopol behalten“.

Zündfunke war ein Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 24. Januar: Die Landkreise Lüchow-Dannenberg und Uelzen hatten einem Unternehmen untersagt, Blaue Tonnen aufzustellen. Das Verbot werde „einer Überprüfung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich nicht standhalten“, heißt es in dem Beschluss. Das entspricht dem bundesweiten Trend der Altpapier-Rechtsprechung. Die Landkreise streckten die Waffen. Entsorgungsunternehmer Schmidt hatte schon im November sein Blaue Tonnen-Projekt auf den Weg gebracht. „Das war ein gewisses Risiko.“ Die anderen hätten die Entwicklung verschlafen. Auf „eine vernünftige Lösung“ hoffe er immer noch: „Wir sind doch alle Christen.“

Auch Schmidt hatte gemeinnützige Vereine kontaktiert: Er kooperiert mit zwei Fußball-Clubs, die aus dem bisherigen Verbund ausscherten. Und mit dem weltanschaulich neutralen Newcomer Cape Kids, der in den Townships von Südafrika Schulen aufbaut. Mehrere 1.000 Euro Einnahmen jährlich versprach sich der Verein davon. Auch Diözesanreferent Sidelies nennt das „ein gutes Projekt“. Die Anfrage Schmidts habe man seinerzeit abgelehnt, räumt er ein. „Das war damals eine andere Rechtslage“, sagt er. „Eine Blaue Tonne – das kam für uns nicht in Frage.“ Jetzt allerdings schon. Mit den bewährten Partnern Marthen, Augustin und Klumpe.

Sidelies sieht sich auf der Siegerstraße. „Es scheint ein bisschen so, als hätten wir die Nase vorn.“ Auch wenn man später dran ist mit der Auslieferung: Schmidts Tonnen nämlich werden nur schleppend angenommen. Die Behälter stehen auf den Bürgersteigen. Mitunter werden sie sogar umgekippt. Der Lingener Stadtverkehr ist zwar nicht besonders dicht, aber immerhin… „Die Stadt Lingen erwartet, dass die Firma E.S. Entsorgungsservice Emsland die nicht angenommenen Blauen Tonnen unverzüglich wieder einsammelt“, ließ der Oberbürgermeister vorgestern verbreiten. Gestern stand es in der Lingener Tagespost. Auch eine Zeitung von gestern hat so ihren Wert.