die taz vor 15 jahren über die grünen orientierungsprobleme angesichts des krieges in jugoslawien
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Vorab: Der Vorwurf, die Friedensbewegung sei während des Golfkrieges auf die Barrikaden gegangen, schweige aber nun zum Balkan, ist billig und falsch. Lange bevor sich die Politiker des Themas Jugoslawien annahmen, organisierten Friedensaktivisten konkrete Hilfe: Sie unterstützten antinationalistische Medien in Kroatien und Serbien, organisierten die Flüchtlingshilfe und versteckten Deserteure. Das wird von antipazifistischen Ideologen geflissentlich übersehen. Nichts spricht gegen die Fortsetzung dieser Art von Balkanhilfe. Nur verhindert sie eben nicht, daß täglich Leute verhungern und erfrieren, vergewaltigt und ermordet werden. Die Frage nach militärischem Eingreifen drängt sich buchstäblich mit Gewalt auf. Doch die Debatte, zu der die Grünen am Samstag luden, blieb weit hinter dem Diskussionsstand der interessierten Öffentlichkeit zurück. Wer für eine militärische Intervention optierte, mußte sich immer wieder sagen lassen, in Exjugoslawien könne es keine militärische Lösung des Konflikts geben. Ein billiger Vorwurf. Es kann jetzt in Bosnien nur darum gehen, möglichst schnell bei möglichst geringem Risiko möglichst viele akut bedrohte Menschenleben zu retten. Daß die militärische Sicherung von Korridoren zu Verhungernden keine politische Lösung für die Zukunft der Republik ist, darf als selbstverständlich gelten.Die Gefahren, die ein solches Vorgehen in sich birgt, liegen auf der Hand. Wer sich mit dem Verweis auf eine mögliche Eskalation des Konflikts, die selbstredend mit jeder Intervention verbunden ist, um die konkreten Fragen drückt, müßte mindestens zur Kenntnis nehmen, daß trotz der Nicht-Intervention der Konflikt von einem Scharmützel in der Krajina zum grausamsten Gemetzel im Nachkriegseuropa eskaliert ist. Die Angst, daß ein Grundpfeiler grünen Selbstverständnisses einknicken könnte, hat die Debatte schon im Ansatz blockiert. Pazifisten können sich notfalls um konkrete Fragen drücken. Politiker, auch grüne, nicht.

Thomas Schmid, taz, 22. 2. 1993