Der stille Judenretter

Arthur Ketzer kann das Grußwort von Leonie und Walter Frankenstein nicht hören, das morgen verlesen wird, wenn Israel ihn 28 Jahre nach seinem Tod als „Gerechter unter den Völkern“ ehrt FOTO: PRIVAT

Im Sommer 1943 irrt ein junger Jude durch Berlin. Walter Frankenstein ist mit Frau und Kleinkind kurz vor der Deportation untergetaucht. Er übernachtet auf Trümmergrundstücken und im Grunewald. Er besitzt keine Lebensmittelkarten und hungert. Die Gestapo sucht ihn. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, dass sie ihn erwischen. Der 19-Jährige ist verzweifelt.

Dass die Frankensteins den Holocaust dennoch überlebten, ist das Verdienst von Arthur Ketzer. Der Chemiker erfährt von einer Bekannten vom Schicksal Frankensteins. Er nimmt ihn trotz des großen Risikos auf. In dem kleinen pharmazeutischen Betrieb, für den Ketzer arbeitet, kann sich Frankenstein verstecken. Tagsüber dreht er Pillen, um nicht aufzufallen. Als das Leipziger Versteck von Leonie Frankenstein und Sohn Uri auffliegt, verbirgt Ketzer auch sie. Er nimmt keinen Pfennig für seine Hilfe an.

Morgen wird Ketzer eine späte Ehrung zuteil. Die israelische Gedenkstätte Jad Vaschem ernennt ihn posthum zum „Gerechten unter den Völkern“. Mit dieser höchsten Ehrung, die der Staat Israel an Nichtjuden vergibt, wird Menschen gedacht, die in der Nazizeit Juden das Leben retteten.

Arthur Ketzer, 1896 in Wien geboren, arbeitet nach seinem Studium zunächst im Raum Wiesbaden, heiratet und bekommt eine Tochter. Um 1933 zieht er nach Berlin. Was genau seine Motive zur Hilfe für Juden waren, wissen wir nicht. Niemand hat ihn zu Lebzeiten danach gefragt. Geblieben sind nur Erinnerungen und Dankschreiben der Geretteten.

Schon vor Kriegsbeginn unterstützt Ketzer Verfolgte bei der Emigration. Alice Witte schreibt später aus New York: „Wenn ich an die 30er Jahre in Deutschland zurückdenke, so gibt es eigentlich nur einen einzigen Menschen, der mir gegenüber den persönlichen Mut gezeigt hat, für seine Überzeugung einzustehen und sich in offenen Gegensatz zu stellen gegen die vielen Heuchler und die Masse der Mitläufer – und das waren Sie!“ Ketzer verbirgt nicht nur die Frankensteins. Er stellt Gertrud Scharff unter dem Decknamen Irma Dreger als Buchhalterin ein. Ende 1943 stößt er zur Widerstandsgruppe Gemeinschaft für Frieden und Aufbau. Ihr Kopf Werner Scharff reist mit gefälschten Papieren von Ketzers Firma quer durch Deutschland.

1944 fliegt die Gruppe auf. Ketzer wird im Oktober verhaftet. Im Gestapo-Lager Wuhlheide teilt er Lebensmittelpakete von seiner Familie mit ausländischen Mitgefangenen. Durch Bestechung der Lagerleitung kommt Ketzer im Februar 1945 frei und verschwindet nach Bayern. Nach dem Krieg baut er in Lichtenfels eine pharmazeutische Fabrik auf. Arthur Ketzer stirbt am 23. Februar 1980. KLAUS HILLENBRAND