Mehr „S-Klasse“ bei den Kindergärten

Ilse Wehrmann, renommierte Frühpädagogin aus Bremen, hat das „Qualitätshandbuch“ für die Sternchen-Kitas von Daimler Benz verfasst und eine Streitschrift für die „Zukunft Deutschlands – Bildung von Anfang an“

„Das ist die S-Klasse“, sagt Ilse Wehrmann zu ihren DaimlerBenz-Kindergärten mit dem bezeichnenden Namen „Sternchen“. Diese Einrichtungen, die die langjährige Leiterin der evangelischen Kitas in Bremen konzeptionell berät, haben pro Kindernase einen doppelt so hohen Etat wie normale staatliche Kitas. Rund 900 Euro schießt Daimler pro Kind und Monat dazu und die Eltern zahlen Elternbeiträge – 111 Euro im statistischen Durchschnitt, sagt Wehrmann.

Aber das, was sie da mit dem Daimler-Konzern erreicht hat – immerhin soll es bald 14 „Sternchen“-Einrichtungen mit 500 Kindern bundesweit geben – ist in den europäischen Nachbarländern Standard. Wie hierzulande mit den Kindern umgegangen werde, sei „das größte Armutszeugnis“, formuliert Wehrmann: „Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist halb eins.“ Nicht zehn Euro mehr Kindergeld seien erforderlich, das sei eine reine Wahlkampfparole, die ablenke vom Problem. Wenn Deutschland die Bildungschancen seiner abnehmenden Kinderzahl nutzen wolle, müssten die Ausgaben für die Kinderbetreuung schlicht verdoppelt werden. Und das Thema müsse „Chefsache“ werden und Angelegenheit des Bundes wie die Umweltpolitik. „Der Föderalismus bringt uns um“, ist Wehrmann überzeugt. Die klammen Kommunen würden diesen Bereich als Spardose missbrauchen. Insbesondere in Bremen hat Wehrmann das über Jahre miterlebt und am Ende resigniert ihren Posten als Verantwortliche für die evangelischen Kitas aufgegeben: „Seit 15 Jahren nur Stillstand und Sparmaßnahmen.“ Als Freiberuflerin berät sie nun China und eben Daimler-Benz.

Und für Daimler ist das Thema Chefsache: In einer der Kitas hat Wehrmann mit dem Daimler-Chef Dieter Zetsche einen ganzen Tag verbracht. Ohne Presse – also kein Show-Termin fürs Fernsehen. Zetsche sei richtig interessiert und habe im Kita-Alltag Hand angelegt, einfach mitgeholfen, schwärmt Wehrmann. Das habe sie so in ihrem Berufsleben noch nie erlebt.

Mehrere Kilo schwer ist das von ihr verantwortete „Qualitätshandbuch“ für diese Sternchen-Kitas, das heute auf der Bildungsmesse „Didacta“ in Stuttgart vorgestellt werden soll. Ein derart qualifiziertes Handbuch dürfte keine andere deutsche Kita haben. In Stuttgart wird auch Wehrmanns Buch „Deutschlands Zukunft – Bildung von Anfang an“ präsentiert, ein 200 Seiten starkes Plädoyer für mehr Liebe zu den Kindern. „Handeln statt reden – was für eine bessere frühkindliche Bildung zu tun ist“, ist eines der Kapitel. Die skandinavischen Länder hätten einen deutlichen Bildungsvorsprung, weil sie schon seit Jahren die Ergebnisse der Hirnforschung ernst nähmen und die Bereiche Kita und Grundschule ins Zentrum rückten, sagt Wehrmann. Alle Bemühungen im Bereich der höheren Bildung seien „Schlösser auf Sand gebaut“, wenn in der Frühpädagogik weiter gespart werde. Denn kleine Kinder würden am Besten lernen.

In den erfolgreichen Pisa-Ländern hätten Frühpädagogen ein Hochschulstudium hinter sich und einen hohen sozialen Status. Der Abschluss deutscher Erzieherinnen würde in keinem Land der Welt anerkannt, sagt Wehrmann. Und das in einem Land, das einmal – vor mehr als hundert Jahren – die Frühpädagogik erfunden hat. Dringend müssten das Qualitätsprofil der Ausbildung und die Bezahlung angehoben werden. Die verschwindend geringe Männer-Quote sei ein Gradmesser dafür, wie wenig der Beruf bisher gesellschaftlich anerkannt sei. Zudem müsste es „mehr Qualitätskontrolle im System“ geben – einen „Marshallplan für Kinder“. KAWE

Ilse Wehrmann, „Bildung von Anfang an“, Verlag das Netz (Weimar)