Dresden steckt im Gedenk-Dilemma

Das Gedenken an die Zerstörung Dresdens zerreißt die Stadt. Heute prallen tausende Nazis und Autonome aufeinander

DRESDEN taz ■ Die Demonstrationen am Mittwoch seien nur das Vorspiel gewesen, meint der Dresdner Staatsschutzchef Jürgen Schär. Am heutigen Samstag erst wird er richtig Arbeit bekommen.

Seit Jahren wird Dresden durch die Erinnerung an den Tag des alliierten Bombenangriffs vom 13. Februar 1945 zerrissen, bei dem das Zentrum der Stadt fast vollkommen zerstört wurde. An den Ritualen des Gedenkens stimmt vieles nicht mehr.

Um 13 Uhr beginnt am Samstag ein Nazi-Aufmarsch mit mindestens 5.000 erwarteten Teilnehmern. Um 15 Uhr darf die Antifa ihren Protest loswerden. Dazwischen liegt der Gedenkzug der Dresdner Bürger.

Was am Wochenende in Dresden los sein wird, lässt sich nach den Ereignissen vom vergangenen Mittwoch erahnen. Am Vormittag wurden die Teilnehmer der traditionellen Kranzniederlegung auf dem Heidefriedhof mit Plakaten wie „No tears for Krauts“ begrüßt. 150 Antifa-Anhänger demonstrierten unter dem Motto „Deutsche TäterInnen sind keine Opfer“.

Geschmacklosigkeiten hier, Unerträglichkeiten dort. Unter den Zug zur Gedenkstätte haben sich wie in den Jahren zuvor NPD-Funktionäre gemischt. Ehe sie ihre Kränze ablegen können, verlassen die Offiziellen mit Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) an der Spitze demonstrativ den Friedhof.

Nur noch etwa 300 Trauergäste sind gekommen, zumeist Amtsträger, kaum noch normale Dresdner. Auch die Jüdische Gemeinde ist in diesem Jahr erstmals nicht mehr erschienen. Die Vorgänge hätten sie darin bestätigt, „dass sich hier etwas ändern muss“, sagt die Vorsitzende Nora Goldenbogen später am Nachmittag bei einer eigenen Kranzniederlegung.

Dieser Meinung sind angesichts des zunehmenden Missbrauchs des Gedenktags durch Nationalkonservative und Neonazis inzwischen viele. Tausende Polizisten und deren Fahrzeuge bestimmen seit Jahren das Stadtbild. Lediglich die mehreren tausend Dresdner vor der Frauenkirche fanden am Mittwochabend eine würdige Form des Gedenkens.

„Das Ritual muss überdacht werden“, meint Matthias Neutzner, Vorsitzender der Interessengemeinschaft 13. Februar. Friedemann Bringt vom Kulturbüro Sachsen plädiert für eine Rede auf dem Friedhof, die auch die Vorgeschichte des Angriffs auf Dresden erwähnt. Das kann sich Ralf Lunau, der Vorsitzende der Linksfraktion im Stadtrat, an diesem Ort hingegen kaum vorstellen. Dezentrale Gedenkveranstaltungen und die verstärkte Einbeziehung von Schulen hält er für einen besseren Ausweg aus dem Dresdner Dilemma.

Geht es nach Sachsens Justizminister Geert Mackenroth (CDU), hätte die Stadt vom kommenden Jahr an seine Probleme am Gedenktag los. Das Kabinett hat ein neues Versammlungsgesetz auf den Weg gebracht, mit dem Versammlungen an heiklen Orten und Tagen verboten oder unter strenge Auflagen gestellt werden sollen. MICHAEL BARTSCH