Mehr als Sprache

Kunsttherapeuten helfen Patienten, bildnerische Ausdrucksformen für sich zu entdecken. Der Gestaltungsprozess ist dabei wichtiger als das Ergebnis: Was wird beim Malen empfunden?

Das Institut für Kunsttherapie Berlin-Brandenburg bildet seit zwölf Jahren in einer vierjährigen berufsbegleitenden Weiterbildung Pädagogen, Künstler, Mediziner, Geisteswissenschaftler und in sozialen Berufen Tätige zu Kunsttherapeuten aus. Es kooperiert dabei mit der Universität Köln und der Psychiatrischen Klinik des Johanniterkrankenhauses im Fläming. Der nächste Studiengang beginnt am 11. April 2008 mit einem dreitägigen Einführungsseminar – bei dem man sich über Inhalt, Struktur und Methoden der Ausbildung informieren kann – und endet im April 2012 mit der Verleihung des Berufszertifikats „Kunsttherapeut“ der Deutschen Gesellschaft für künstlerische Therapieformen, Berufs- und Dachverband e. V.“ JUTTA BLUME

Weitere Infos: Tel. (0 33 72) 40 31 90 oder www.kunsttherapieausbildung.de

VON JUTTA BLUME

„Ich kann überhaupt nicht malen“ oder „Ich habe seit der Schulzeit nicht gemalt“ sind vielleicht die häufigsten Sätze, die Kunsttherapeuten von neuen Patienten zu hören bekommen. Susann Kämpfe, die an der Heinrich-Heine-Rehabilitationsklinik in Neu Fahrland Kunsttherapie anbietet, macht immer wieder die Erfahrung, dass die anfängliche Skepsis in Begeisterung umschlägt. So haben ihr schon manche Patienten, die zuerst nur „ihre Zeit absitzen“ wollten, im Verlauf der Therapie erzählt, sie hätten sich schon nach Läden für Malfarben umgeschaut.

Patienten entwickeln eigene Themen

Auch wenn in ihren Sitzungen hauptsächlich Zeichnungen und Gemälde entstehen, bieten die Materialien doch unterschiedlichste Ausdrucksmöglichkeiten, von akkuraten Bleistiftstrichen bis hin zu kräftigen, mit Händen aufgetragenen Farbgebilden.

Nun reicht es nicht aus, die Malutensilien vor die Patienten zu stellen und diese ans Werk gehen zu lassen. „Vielen fällt es schwer, aus dem Nichts loszumalen“, sagt die Therapeutin. Sie zeigt daher, was mit verschiedenen Techniken möglich ist, und macht kleine thematische Angebote. Später entwickeln die Patienten häufig eigene Themen.

Zwischen vier und acht Wochen kommen die Patienten der Heinrich-Heine-Klinik zu den Therapiesitzungen, die hier in Gruppen mit wechselnden Teilnehmern stattfinden. „Eine ideale Gruppengröße liegt bei sechs bis acht Teilnehmern, dann ist genug Platz und Zeit für alle da“, erzählt Kämpfe. Die meisten kurieren in Neu Fahrland psychosomatische Störungen, Ängste, Depressionen, manche Essstörungen. Für die Kunsttherapie können sie sich nicht freiwillig entscheiden, sie wird ihnen verschrieben. Susann Kämpfe glaubt, dass in allen künstlerische Fähigkeiten und Wissen steckt, viele nur den Kontakt dazu verloren haben. Der Gestaltungsprozess ist ihr dabei wichtiger als die Bilddeutung. „Das Alltagsverständnis von Kunsttherapie ist vielleicht, dass man etwas malt und die Therapeutin einem erklärt, was das heißt“, sagt sie. In ihrem Ansatz geht es vor der Deutung eher darum, was während des Malens empfunden wird. In ihrer Ausbildung hat Kämpfe viel selbst damit experimentiert, wie verschiedene Materialien auf sie wirken.

Selbstverständlich wird an der Heinrich-Heine-Klinik auch über die fertigen Bilder gesprochen. Nicht nur die Motive können viel über die Patienten erzählen, auch die Art und Weise, wie ein Bild gemalt wurde. Vorsichtige Buntstiftstriche und blasse Farben können von Zurückhaltung sprechen, müssen es aber nicht. Gestaltet eine Gruppe gemeinsam ein Bild, geben die Übergänge zwischen den von den Einzelnen gemalten Bereichen vielleicht wieder, welche Beziehungen innerhalb der Gruppe bestehen. Manche Patienten umranden sogar ihren eigenen Bildbereich mit einer dicken Linie und ziehen so eine Grenze zu den anderen. Klare Deutungen gibt es für Susann Kämpfe nicht, die Maler sollen durch Fragen und Anregungen der Therapeutin selbst eine Interpretation für ihren Ausdruck finden. Auch wenn sie bestimmte Themen vermutet, geht die Therapeutin sehr vorsichtig mit persönlichen Interpretationen um, um niemanden in der Gruppe bloßzustellen.

In ihrer Heimat hatte die gebürtige US-Amerikanerin bildende Kunst studiert, aber in der Kunstszene fühlte sie sich nicht wohl, sie suchte daher eine Kombination aus künstlerischer und sozialer Arbeit. Daher begann sie 2003 berufsbegleitend ihre Ausbildung am Institut für Kunsttherapie Berlin-Brandenburg. An zehn Wochenenden im Jahr fuhr sie dafür in das abgeschiedene brandenburgische Markendorf, hinzu kamen klinische Praktika. Die Lage des Seminarhauses bot die Möglichkeit eines intensiven Austauschs zwischen den Lernenden, den sie sehr genossen hat. Noch heute treffen sich die Absolventen regelmäßig zu einem Stammtisch.

Hochschulen und Fachhochschulen bieten Abschlüsse auf dem Gebiet der Kunst- und Gestalttherapie: als Diplom, Bachelor oder Master, als Studienschwerpunkt im Studium bildender Künste oder pädagogischen Studiengängen sowie als Aufbaustudium. Die Studiengänge werden sowohl von staatlichen als auch von privaten Hochschulen angeboten.Hinzu kommt eine Vielzahl privater Ausbildungsinstitute, die Ausbildungsdauer beträgt zwischen ein und vier Jahren, viele Institute bieten eine berufsbegleitende Qualifikation an.In Deutschland gibt es mehrere Fachverbände für Kunst- und Gestaltungstherapie, die eigene Ausbildungsstandards festlegen und eigene Zertifikate vergeben.JUTTA BLUME

Eine Übersicht über Ausbildungsstätten und Verbände bietet www.kunsttherapie.de

Zeitgleich mit der Therapieausbildung begann Susann Kämpfe ein Psychologiestudium an der Universität Potsdam, das sie noch nicht abgeschlossen hat. Sie werde wohl eine typische Langzeitstudentin werden, erklärt die 33-Jährige scherzhaft. Ihre kunsttherapeutische Arbeit macht sie bislang freiberuflich. „Es gibt ganz viele Gebiete, auf denen man arbeiten kann, nur die Finanzierung gestaltet sich manchmal schwierig.“ Anwendbar wäre die Kunsttherapie etwa bei Alzheimerpatienten im Altersheim oder bei Flüchtlingen mit traumatischen Erfahrungen. Die Therapeutinnen und Therapeuten müssen ihre Stellen dabei oft erst selbst erfinden. Susann Kämpfe ist sich darüber klar, dass sie mit ihrer Arbeit nicht reich werden wird. „Aber man kann für sich selbst eine Menge mitnehmen, man lernt, die Welt aus einer anderen Perspektive anzugucken, andere Lösungsstrategien zu entwickeln.“

Persönliche Strategien, um Distanz zu schaffen

Um nicht ungewollt die Probleme ihrer Patienten mit aus der Therapiesitzung zu nehmen, ist „professionelle Distanzierung“ gefragt. Diese muss immer wieder neu geschaffen werden, daher gehört zur Arbeit auch die ständige Supervision. Jede Therapeutin hat ihre Strategien, um abzuschalten. „Manchmal mache ich auf der Heimfahrt ganz weit das Autofenster auf und höre laut mein Lieblingslied. Oder ich gehe raus in die Natur, um richtig durchzuatmen.“