die taz vor zwölf jahren über koalitionsfragen an die grünen
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Angesichts des Zerbröselns der FDP und der Turbulenzen in der Regierungskoalition ist es bei den Bündnisgrünen erstaunlich ruhig, während die SPD kräftig Öl ins Feuer gießt. Dabei wären die Parteien gerade jetzt gut beraten, ihren politischen Standort und ihre Koalitionsstrategie zu überdenken. Für den bündnisgrünen Mainstream gilt seit eh und je: Die Partei steht links. Auch ein großer Teil der Parteienforscher plaziert sie dort. Weil nach dem Einmaleins einschlägiger Wahlanalysen große Teile der bündnisgrünen und der sozialdemokratisch-aufgeklärten WählerInnen quasi auf derselben politischen Achse verortet werden – postmaterialistisch, postnational, ökologisch-sozial –, erscheint Rot-Grün als einzige koalitionspolitische Option. […]

Für Gerhard Schröder sieht Raschke eine besondere Rolle vor: Dieser soll durch seinen hemdsärmeligen Populismus „im schwarz-roten Gewässer“ fischen und für die Mehrheit zur Mitte hin sorgen. Doch die Konturen der dort verorteten WählerInnen bleiben dabei blaß; man braucht sie nur als Füllmasse für den Machtwechsel.

Folgen die Bündnisgrünen weiterhin einer solchen Festlegung, blockieren sie sich sowohl in ihrer programmatischen Entwicklung als auch in ihrem politischen Gestaltungsspielraum. Warum aber sollen sie sich weiterhin einem Modell verschreiben, das für die strukturell notwendigen Reformen der bundesdeutschen Politik zur Zeit weder Mehrheiten noch Überzeugungen mobilisieren kann? Durch eine weitere Öffnung zur politischen Mitte dagegen könnten sie sowohl einer rot-bündnisgrünen Koalition das Profil eines gerade nicht rein links definierten Bündnisses geben und es dadurch mehrheitsfähig machen, als auch für die CDU koalitionsfähig werden. Eine gar nicht so üble Konstellation, wenn es darum geht, die politischen Preise für eine zukünftige Koalition auszuhandeln. Und das könnte auf die Bündnisgrünen schneller zukommen, als ihnen lieb ist. Lothar Probst, taz vom 15. 2. 1996