Der Nachfolger des Arbeitstiers

Die Politik: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dem neuen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, zur Wahl gratuliert. Als Erzbischof von Freiburg gehe er immer wieder mit großer Offenheit auf die Menschen zu und spreche sie in ihren Bedürfnissen und Sorgen an. SPD-Chef Kurt Beck sagte, er freue sich darauf, „den vertrauensvollen Dialog über alle wichtigen Fragen der Gegenwart“ fortzusetzen.

Die Konkurrenz: Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, äußerte die Hoffnung, „dass wir miteinander die über die zurückliegenden Jahrzehnte guten und gefestigten ökumenischen Begegnungen fortführen und weiterentwickeln können“. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland erhoffe von Zollitsch, „dass er uns hilft, zum Abbau von Vorurteilen und Ängsten beizutragen“, sagte Ayyub Axel Köhler. DPA, EPD, AP

AUS WÜRZBURG PHILIPP GESSLER

Ach, wunderbar! Am Ende bewahrheitete sich auch bei der Wahl des neuen Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz der alte katholische Spruch: Wer als Papst ins Konklave hineingeht, kommt als Kardinal heraus. Oder, profaner ausgedrückt: Die glasklaren Favoriten werden selten gewählt. Dass diesem Spruch eine tiefe, mitunter bittere Wahrheit innewohnt, musste Reinhard Marx, der neue Erzbischof von München, am Dienstag schmerzlich erfahren. Denn freuen konnte sich im Kloster Himmelspforten, idyllisch in Würzburg am Main gelegen, nicht dieses Kraftpaket der katholischen Kirche in Deutschland. Sondern eine auf den ersten Blick eher farblose Gestalt: der Erzbischof von Freiburg, Robert Zollitsch.

Wobei – es ist so eine Sache mit dem Freuen. Gezeigt hat Zollitsch seine Heiterkeit jedenfalls nicht bei der Vorstellung durch seinen Vorgänger im Amt, den Mainzer Bischof Karl Kardinal Lehmann. Dem 69-Jährigen war die Anspannung nach dem dreigängigen Wahlprocedere noch immer anzusehen. Neben Marx war Zollitsch stets als ein möglicher Kandidat für die Spitze der 69 Bischöfe und Weihbischöfe genannt worden – jedoch nur mit Außenseiterchancen. Aber das hatte man ja auch über Lehmann gesagt, als der 1987 gewählt wurde. Und dann blieb er rekordverdächtige 21 Jahre im Amt.

So lange wird Zollitsch kaum bleiben. Wie auch, mit fast siebzig Jahren? Aber die Frage steht im Raum: Was bedeutet diese Wahl jetzt für die 26 Millionen Katholiken in Deutschland? Grundsätzlich darf gemutmaßt werden, dass die Linie Lehmanns über seinen Rücktritt als Vorsitzender der Bischofskonferenz hinaus wohl im Großen und Ganzen erhalten bleibt. Das sagte Zollitsch selbst bei seiner kurzen Stellungnahme auf dem Rasen vor dem Kloster: Er wolle „in Kontinuität“ zu Lehmann seine Aufgabe schultern. „Theologisch und menschlich“ sei er Lehmann so nahe, dass man Schwierigkeiten haben werde, Unterschiede zum Kardinal zu erkennen.

Sollte das schon seine Art von Humor sein? Zollitsch gehört zu den trockenen Menschen, das ist klar, einer, dessen Charme noch versteckter ist als der Lehmanns oder Marx’. In dieser Hinsicht solle man ihn jedoch nicht unterschätzen, warnen Insider der Bischofskonferenz. Überhaupt ist Zollitsch kein unbeschriebenes Blatt mehr, seit er vor vier Jahren das zweitgrößte Bistum der Bundesrepublik übernommen hat. Auch zuvor hatte er sich profiliert. Geboren in Filipovo (Philippsdorf), einer Siedlung von Donauschwaben im früheren Jugoslawien, kam die Familie Zollitsch nach Flucht und Vertreibung 1946 nach Oberschüpf im Landkreis Tauberbischofsheim, gelegen in der Erzdiözese Freiburg. Der Stadt im Breisgau blieb Zollitsch treu: In Freiburg studierte er Theologie – es gab nur einen kurzen Abstecher nach München –, hier wurde er zum Priester geweiht, hier promovierte er 1974, und hier wurde er Direktor des Collegium Borromaeum, einer Art Kaderschmiede des Erzbistums. Dazu passt, dass er danach zum Personalreferenten just in diesem Erzbistum wurde. Auch das Thema seiner Dissertation, „Amt und Funktion des Priesters in den ersten zwei Jahrhunderten“, fügt sich in diese Aufgabe – es ist brisanter als es zunächst erscheint, war doch etwa der Zölibat bei den Priestern in den frühen Jahrhunderten der Kirche eher selten, Paulus riet den kirchlichen Führungsleuten sogar von der Ehelosigkeit ab.

Eine aktuelle Debatte, bei der Zollitsch eher in liberaler Hinsicht von sich reden gemacht hat: So deutete er an, dass man den verpflichtenden Zölibat vielleicht diskutieren könnte. Mit solchen Anregungen positioniert man sich in der Bischofskonferenz klar auf der vergleichsweise progressiven Seite.

Dazu passt, dass er bei seiner kurzen Ansprache vor dem Exerzitienhaus von Kloster Himmelspforten programmatisch nur zwei kräftige Duftnoten hinterließ: Zuerst die Ankündigung, dass er sich künftig auch darum kümmern wolle, dass die katholische Kirche der Bundesrepublik weiterhin in der Öffentlichkeit präsent bleibe – wohl eine Kritik im Vorfeld aufnehmend, wonach Zollitsch in der Mediengesellschaft einfach schlechter rüberkomme als Marx.

Vor allem aber betonte Zollitsch, wie wichtig ihm die Ökumene sei und dass in dieser Hinsicht im Badischen die Uhren anders gingen – „im positiven Sinne“, wie er hinzufügte. In den vergangenen Jahren hatte das Wort von einer „Eiszeit“ in der Ökumene die Runde gemacht, und zwar vor allem nach dem päpstlichen Schreiben „Dominus Iesus“, das den protestantischen Kirchen ihr Kirche-Sein schlicht absprach.

Zollitsch dagegen macht in Sachen Ökumene in seinem Erzbistum ernst. So startete er ein Projekt für einen konfessionsübergreifenden Religionsunterricht. In einem Freiburger Neubaugebiet erlaubte er den Bau einer Kirche, die von evangelischen und katholischen Christinnen und Christen gemeinsam genutzt wird. Der schillernde Name dieser Kirche: Maria Magdalena.

Das sind so Experimente, die Hardlinern in der Bischofskonferenz die meist spärlichen Haare unter der Mitra zu Berge stehen lassen. Zollitsch prägte auch das Wort von einer „arbeitsteiligen Ökumene“, wonach sich Katholiken und Protestanten, abgesehen von der Liturgie, in manchen Feldern, etwa in der Bildungsarbeit, manchmal die Arbeit teilen könnten. Auch so etwas hört man in Rom nicht gern.

Apropos Rom: Im Vatikan dürften gestern ob der Wahl in Würzburg nicht unbedingt die Champagnerkorken geknallt haben. Da hat man sich mehr als zwei Jahrzehnte mit dem oft widerborstigen Lehmann abgemüht – und jetzt kommt als dessen Nachfolger kein papsttreuer Mann wie Reinhard Marx, der vor der Würzburger Tagung sogar noch einmal nach Rom gewanzt war. Nein, Lehmann folgt ein Oberhirte, der sich noch als arger Störenfried römisch-katholischer Herrlichkeit herausstellen könnte.

Auch hier übrigens steht Zollitsch ganz in der Nachfolge Lehmanns. Dem lag die Ökumene so am Herzen, dass er selbst das so überaus deutliche „Dominus Iesus“ als doch gar nicht so bös gemeint gesundbeten wollte. Und dass Zollitsch der vom Papst wieder protegierten tridentinischen Messe, die die Mitwirkung kirchlicher Laien für entbehrlich hält, eher mit gesunder Skepsis gegenübersteht, ist ein offenes Geheimnis. Auch das ist ein Zeichen der Distanz zu den Reaktionären unter seinen Bischofskollegen, die ob der vorkonziliaren Messe meist ins Schwärmen geraten. Fast unnötig zu erwähnen, dass Marx zu ihnen gehört.

Zollitschs Unterhaltungswert dürfte im Vergleich zu seinem Konkurrenten Marx gegen null gehen Im Hinblick auf die Ökumene, sagt Zollitsch, gehen im Badischen die Uhren anders – „im positiven Sinne“

Aber bleibt Zollitsch dieser alles in allem eher liberalen Linie treu in seinem Amt? Oder „dunkelt er nach“, wie Protestanten das gern nennen? Aus dem Umfeld der Bischofskonferenz heißt es, den neuen Vorsitzenden zeichne eine „selbstbewusste Bescheidenheit“ aus.

Sicherlich, da betritt kein katholischer Star die christliche und gesellschaftspolitische Bühne. Zollitschs Unterhaltungswert dürfte im Vergleich zu Marx gegen null gehen. Dafür hat Zollitsch offensichtlich Steherqualitäten: Als der Mann für die übergreifenden Finanzen in der Bischofskonferenz – Zollitsch verwaltet die Millionen im Verband der Diözesen Deutschlands – muss er sich gegen die Begehrlichkeiten seiner Mitbrüder durchsetzen. Und das gelingt ihm so gut, dass dies kein Hindernis für seine Wahl war. Zollitsch verfügt nach Ansicht fast aller über ein gehöriges Talent zum Ausgleich, gepaart mit einer Eigenschaft, die überall gern gesehen wird: Für die „Kärrnerarbeit“ sei er sich nicht zu schade, heißt es. Auch in dieser Hinsicht ist er dem Arbeitstier Lehmann ziemlich ähnlich.

Hier ist wohl auch der Hauptgrund dafür zu sehen, dass nicht Marx, sondern Zollitsch am Ende das Rennen in Himmelspforten machte: Dem neuen Erzbischof von München, der in so kurzer Zeit so hoch gestiegen ist, traute man zum einen nicht recht zu, sein schweres und großes Erzbistum aus dem Stand so in den Griff zu bekommen, dass er nebenher auch noch den Vorsitzendenjob meistert.

Zum anderen gibt man derart medienkompatiblen Shooting Stars bei solchen Gelegenheiten ganz gern einen Dämpfer, auch bei den Evangelen: Bei der Wahl von Wolfgang Huber zum Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland vor vier Jahren in Trier wurde die Hannoveraner Bischöfin Margot Kässmann nicht gewählt, auch weil sie auf der Klaviatur der öffentlichen Wahrnehmung so brillant zu spielen weiß.

Und so wie Kässmann bei der nächsten Wahl wohl wieder die Topkandidatin an der Spitze der evangelischen Kirche sein dürfte, wird auf katholischer Seite Marx nach sechs Jahren Zollitsch auch das Amt zufallen. Insofern musste sich Marx nicht groß überwinden, Zollitsch nach dem zweiten Wahlgang zuzusichern: „Ich helfe dir.“ Denn am Ende ist klar: Die Zeit spielt für Marx.