Die Krieger des Jarls

Sie nächtigen jede Woche unter toten Schafen: Im niedersächsischen Alfeld haben sich Re-Enactment-Fans zu einer Wikingergemeinschaft zusammengeschlossen, die ihre Löffel selbst schnitzt, aber auch mit der Stadtverwaltung gut Freund ist

Eine Holzhütte ist die Zeitschleuse. „Hier lassen wir unsere Handys und alles, was mit der Gegenwart zu tun hat“, sagt Andreas Monden. Er geht als EDV-Administrator hinein, und kommt als Wikinger „Angus“ heraus.

Angus trifft sich jedes Wochenende mit Freunden auf einer Wiese im niedersächsischen Alfeld, auf die sie ein Wikingerdorf gebaut haben. „Wir bauen die Häuser nach archäologischen Vorlagen“, sagt er. Die Häuser bestehen aus Holzbohlen und sind mit Schafswolle abgedichtet. Neun Quadratmeter, die von einem Feuer beleuchtet werden, mit Betten für vier Wikinger.

Auch Mondens Frau Silvia und Sohn Mathias sind jedes Wochenende dabei. „Wir fahren nicht 3.000 Kilometer nach Mallorca – sondern 1.000 Jahre in die Vergangenheit.“ sagt Monden. „Eine einzigartige Erholung.“ Im normalen Leben ist Silvia Monden medizinisch-technische Assistentin. Die Reaktionen von Kollegen seien unterschiedlich, von Belächeln bis Neid sei alles dabei. Die meisten in der Gruppe sind auch im Alltag als Freizeit-Wikinger bekannt.

Über einem Balken hängen Schafhäute, selbst geschlachtet, die Beine baumeln noch herunter. „Daran muss man sich gewöhnen“, sagt Angus. Sonst wird es im Jahr 1050 eiskalt. „Die schlechte Saat“ – so heißt die Gruppe – hält sich dafür ihre eigenen Schafe.

„Die schlechte Saat“ ist Teil einer ganzen Szene, die „Re-Enactment“ betreibt, oder „Living History“ – lebende Geschichte. Für jede Epoche gibt es Gruppen. Die meisten Gruppen reisen nur auf die Mittelaltermärkte, die im Sommer über das Land verteilt abgehalten werden. Die Alfelder mit ihrem eigenen Dorf sind eine Ausnahme.

Jeder stellt seine eigene Figur mit eigener Biographie dar, die für das Wochenende auch real ist. Der Wichtigste in der Gruppe ist der Fürst, oder der Jarl, wie ihn die Wikinger nennen. „Er hat unser aller höchste Achtung, im Jahre 1050 wie auch 2008“, sagt Angus. Er ist der erste Krieger des Jarls und sofort zur Stelle, wenn der Jarl ruft. Das ist keine gespielte Darstellung.

„Neue denken oft, das sei ein netter Zeitvertreib“, sagt Angus, „aber das ist knochenharte Arbeit.“ Jedes Haus muss Balken für Balken zusammengezimmert, jedes Schwert selbst geschmiedet, jeder Löffel selbst geschnitzt werden. Deshalb hat die Gruppe eine Probezeit von einem Jahr beschlossen. Die Wikingerzeit wird von vielen Menschen idealisiert. Einige Filmdrehs hat „Die schlechte Saat“ schon abgelehnt – „Wir müssten uns den Vorstellungen und Vorschriften dieser Leute unterwerfen, und das kam nicht in Frage“, sagt Angus.

Die Kleinstadt Alfeld hat sich an die Mitbürger aus dem letzten Jahrtausend gewöhnt. Auch den letzten Skeptiker haben sie umstimmen können: den Bischof von Hildesheim. Bei einer Veranstaltung des Dommuseums hatte er Bedenken, die „Heiden“ in den Dom zu lassen. Immerhin hatte Bischof Bernward die Stadt vor 1.000 Jahren erfolgreich vor ihnen geschützt. Die städtische Verwaltung in Alfeld aber behandelt die Wikinger von heute wie alle anderen. Die Stadt hat ihnen das Grundstück verpachtet, regelmäßig schaut ein Beamter vorbei, ob auch im Jahr 1050 die Regeln von heute eingehalten werden. Die Zusammenarbeit funktioniere sehr gut, sagt Angus. „Manchmal ist es schwer, sich mit den nicht nachvollziehbaren Sachzwängen unserer Zivilisation auseinanderzusetzen, nachdem wir als Wikinger notwendige und logische Sachen getan haben.“

Sie arbeiten hart an der korrekten Wikingerwelt. Doch für einen Drang, der die Menschen vor 1.000 Jahren schon gequält hat, kennen die heutigen Wikinger bessere Mittel: das Dixi-Klo.

STEFANIE HELBIG