Jenseits der Blockade

Nirgendwo ist die Republik näher an einer schwarz-grünen Landesregierung als in Hamburg

VON RALPH BOLLMANN

Am Vierundzwanzigsten ist in Hamburg Bescherung. Zumindest für jene Politiker bei CDU und Grünen, die seit mehr als fünfzehn Jahren ein gemeinsames Regierungsbündnis auf Landesebene erhoffen. Umfragen zufolge stehen die Chancen so gut wie bislang in keinem anderen Bundesland. Mit 41 Prozent für die CDU und zehn Prozent für die Grünen kämen beide Parteien auf eine Mehrheit in der Bürgerschaft. Egal, ob neben der SPD (33 Prozent) und der Linken (sieben Prozent) auch noch die FDP (fünf Prozent) auf den Oppositionsbänken Platz nimmt.

Der Charme einer solchen Konstellation, sollte sie sich bei der Bürgerschaftswahl am 24. Februar tatsächlich realisieren, läge in ihrer Alternativlosigkeit. Den Grünen würde es für eine Koalition mit der SPD, ihrem natürlichen Partner, wohl nicht reichen. Der CDU bliebe sonst nur die ungeliebte große Koalition mit der SPD.

Bürgermeister Ole von Beust und Grünen-Kandidatin Christa Goetsch könnten sich in Koalitionsverhandlungen als diejenigen profilieren, die der Hansestadt die schwarz-rote Blockade ersparen, die im neuen Fünfparteiensystem die Regel zu werden droht. Den Ton gab Krista Sager, Vizechefin der grünen Bundestagsfraktion, diese Woche vor. Es dürfe „keinen Automatismus hin zu einer großen Koalition geben“. Der Erste Bürgermeister hatte schon Anfang Januar erklärt, er wolle „das schwarz-grüne Experiment“ wagen. Auch Beusts Unterschrift unter einem offenen Brief, mit dem sich CDU-Politiker vom ausländerfeindlichen Wahlkampf des Hessen Roland Koch distanzierten, sollte die Grünen-Option offenhalten.

Bei allen inhaltlichen Differenzen wären bilaterale Bündnisgespräche zwischen CDU und Grünen einfacher zu handhaben als komplizierte Dreierkombinationen. Das ist der Unterschied zu luftigen Spekulationen um ein „Jamaika“-Bündnis von CDU, FDP und Grünen nach der Bundestagswahl 2005. Anders als in Baden-Württemberg, wo schwarz-grüne Sondierungsgespräche auf Landesebene schon 1992 und 2006 scheiterten, bliebe der Hamburger CDU nicht die FDP-Option.

Die Grünen könnten durch eine Koalition mit der CDU Bündnisse mit der Linkspartei in anderen Ländern flankieren – ohne dass es hieße, sie drifteten in linksradikale Anfänge zurück. Im Bündnis mit der Linken und einer nach links gewendeten SPD könnten sich die Grünen sogar als bürgerliche Stimme der Vernunft profilieren – allerdings bei einer Zielgruppe, die nicht unbedingt zu ihren Wählern zählt.

Andererseits würde Schwarz-Grün den Druck erhöhen, solche Linksbündnisse andernorts auch tatsächlich einzugehen – was vorerst an der SPD scheitert. Sonst entstünde der Eindruck, die Grünen bereiteten ihren endgültigen Absprung ins bürgerliche Lager vor. Vor allem bei jenem Segment der grünen Klientel, bei dem bürgerliches Sein und linkes Bewusstsein auseinanderklaffen. Die Stammwähler seien „außerordentlich lagerbewusst“, warnte Ex-Umweltminister Jürgen Trittin vor wenigen Tagen. Eine Schwarz-Grün-Debatte wirke daher wie „Wahlhilfe für die SPD und die Linkspartei“.

Die grünen Wahlkämpfer in Hamburg stehen deshalb vor dem Dilemma, die CDU-Option offenzuhalten, gleichzeitig aber die eigene Wählerschaft nicht vorzeitig zu verschrecken. Die grüne Landeschefin Anja Hajduk flüchtete sich in die Formulierung, jede schwarz-grüne „Spekulation“ sei „sinnlos“ – die klassische Formulierung für ein Nicht-Dementi. Statt sich in der Koalitionsfrage eindeutig festzulegen, betont die Landespartei lieber die inhaltlichen Differenzen. Über die lässt sich dann immer noch verhandeln.

Das Verfahren erinnert an den Bruch des letzten Koalitionstabus in der deutschen Politik im Jahr 2001, als ausgerechnet die traditionell antikommunistische Berliner Landes-SPD ein Bündnis mit der damaligen PDS einging. Im Vorfeld erklärten die Sozialdemokraten stets, die Exkommunisten seien „noch“ keine ganz gewöhnliche Partei, man sehe sie „zur Zeit“ nicht als Bündnispartner, und überdies halte man vorzeitige Koalitionsdebatten für überaus „schädlich“.

Wenig später wurde Klaus Wowereit mit den Stimmen der PDS zum Bürgermeister gewählt. Getreu dem Motto, das in der deutschen Linken seit eh und je für Neuerungen gilt. „Mein Lieber Ede“, schrieb der Sozialdemokrat Ignaz Auer vor hundert Jahren an den Rechtsabweichler Eduard Bernstein, „so etwas sagt man nicht, so etwas tut man.“