Der Höllentanz der Vernunft

Karl Valentin war nicht nur ein bayerischer Witzbold, wie eine Schau im Martin-Gropius-Bau zeigt. Der „Medienhandwerker“ erfand eine Wasserrutsche fürs Oktoberfest, machte mit Liesl Karlstadt Geräusch-Performances und drehte Slapstick-Streifen

VON ANSGAR WARNER

„Krisperl“ nennt man in Bayern einen spindeldürren Mann, der keinen Schatten wirft. Dem wohl berühmtesten bayerischen Krisperl widmet der Martin-Gropius-Bau nun eine Werkschau, nämlich dem „Filmpionier und Medienhandwerker“ Karl Valentin. Man mag Valentin als skurrilen Komiker und Kabarettisten abgetan haben, doch das Münchner Original war vor allen Dingen ein kompromissloser Avantgardist, der lebenslang mit absurden Maschinen, medialen Formaten und, als „lebende Karikatur“, mit dem eigenen Körper experimentierte.

Das Obergeschoss des Martin-Gropius-Baus wurde für die Ausstellung zum Varieté umdekoriert: Bunte Bühnenattrappen, schwarze Vorhänge und Wand-Kommentare in der Form von Theaterzetteln erzählen ein Künstlerleben in Stationen. Vom Musikclown und Solokomiker mauserte sich der Mann ohne Schatten zum Unternehmer und multimedialen Humorexperten. Schon vor dem Ersten Weltkrieg drehte Valentin im eigenen Studio Slapstick-Kurzfilme, von denen die berühmtesten im Gropius-Bau in einer Dauervorstellung gezeigt werden. Der schlaksige Komiker mit dem Riesenzinken im Gesicht blieb der Konkurrenz immer eine Nasenlänge voraus. Als der Tonfilm noch in der Testphase war, begleiteten Valentin und die langjährige Brettl-Partnerin Liesl Karstadt Aufführungen ihres Streifens „In der Schreinerwerkstatt“ bereits mit einer wilden Live-Geräusch-Performance. Die Multimedialität wurde bald zum Markenzeichen. Die Künstlerin Franziska Bilck schuf dem „Schriftsteller für Bühne, Film, Zeitung, Rundfunk, usw.“ einen Briefkopf, auf dem Valentin als funkensprühender Telegraf zwischen zwei Endlos-Papierrollen sitzt.

Neben Film- und Grammofonaufnahmen gibt es in der Ausstellung eine Flut von Fotografien und Zeichnungen zu sehen: Valentin als schwerer Reiter, dürrer Posaunist, verrenkter Gendarm, verschrobener Legionär oder grimassierender Clochard. Ausgestellt sind jedoch auch zahlreiche Bilder von Alt-Münchner Originalen, Bänkelsängern, Possenreißern, Akrobaten und diversen Sonderlingen, deren Konterfei Valentin als Studienobjekte akribisch sammelte und sortierte.

Lässt man die oft genug scheiternden Projekte des Berufspessimisten Revue passieren, wird einem schier schwindelig: Mal erfand er eine Wasserrutsche für das Oktoberfest, dann gründete er eine Agentur zum Lichtbildverleih und verkaufte Reklame-Dias an Lichtspielhäuser. Zwischendurch drehte er Slapstick-Streifen, die ihn als bayerischen Cousin der Marx Brothers erscheinen lassen, oder trat in einem Werbefilm für die Deutsche Sparkasse auf. Manchmal machte er sich über die Technik auch nur lustig, etwa bei der Vorstellung eines futuristischen Bildplattenspielers. Das legendäre „Heimkino“, so entnimmt man dem ausgestellten Manuskript, lieferte nur den Aufhänger der Pointe: „Sie wollen wissen, wo man einen solchen Apparat kaufen kann!? Nirgends, der muß erst noch erfunden werden!“

Die Ausstellung klopft also humoristisches Urgestein ab, urtümlich wie die Bayern selbst, über die Lion Feuchtwanger einmal etwas herablassend schrieb, sie wollten „leben mit einem bisschen Kultur, einem bisschen Musik, mit Fleisch und Bier und Weibern und oft einem Fest und am Sonntag eine Rauferei“. Hauptsache, sie hätten ihre Ruhe vor „Zugreisten“, „Schlawinern“ und „Saupreußen“. Valentin hatte allerdings kaum Berührungsängste und brillierte ebenso auf preußischen Bühnen, etwa im Berliner KaDeKo, dem Kabarett der Komiker am Lehniner Platz.

„Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“, pflegte der süddeutsche Gast-Star zu kalauern, und da ist auch was dran. Die heutigen Ausstellungsbesucher betrachten die Valentinaden durch die ethnologische Brille: Wenn sie lachen, dann mit gehöriger Distanz. Erst recht im Falle von Valentins 1934 gegründetem Panoptikum, das im Gropius-Bau als interaktive Projektion wiederaufersteht.

Dort lag das Heiterkeitsmuseum direkt neben der Folterkammer, in der Delinquenten von schwarzgewandeten Knechten malträtiert wurden. „Du sollst so dünn gefoltert werden, bis dass die Sonne durch dich durchscheint“, verkündete ein Spruchband. Die Besucher der Dreißigerjahre fanden das zum Totlachen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war aber leichtere Kost angesagt: Eine Folge von Radiosendungen, die Valentin für den Bayerischen Rundfunk produzierte, wurde nach Hörerprotesten vorzeitig abgebrochen. Hatte die Karriere der „lebendigen Karikatur“ als menschliches Skelett begonnen, so war am Ende tatsächlich eines daraus geworden. Unterernährt und vereinsamt starb der kauzige Komiker im Jahr 1948.

Was aber ging wirklich vor in dem Mann, der Kurt Tucholsky zufolge einen „Höllentanz der Vernunft um beide Pole des Irrsinns“ aufführte? Am Ausgang der Ausstellung werden Valentin’sche Grimassen auf einen Gipskopf projiziert, ein virtueller Valentinsscherz, der bezeichnend ist: Der Mensch Karl Valentin bleibt trotz multimedialer Präsenz merkwürdig abwesend.

Bis 21. April. Mittwoch bis Montag 10 bis 20 Uhr, Dienstag geschlossen