ausgehen und rumstehen
: Was man sich merken muss zwischen Hot Chip und dem Club Transmediale

Eine schöne Grafik des New York Magazine beschreibt die Verlaufskurve eines Pop-Hypes. Da ist der so genannte „Pre-Buzz“, also die Aufregung nach ersten Auftritten, der eigentliche „Buzz“, der dem Erscheinen der Platte vorausgeht, die „Rave Reviews“, die die Platte dann begleiten, und der „Saturation Point“, wenn alles Positive erst einmal gesagt ist. Bis hierher geht die Kurve nach oben. Auf dem Höhepunkt beginnt die „Market Saturation“. Dann fällt sie ab: Der „Backlash“ beginnt. Bis der „Backlash against Backlash“ sie wieder steigen lässt.

Die Band Hot Chip steht gerade am Anfang des „Backlash“, ein Umstand, der es sehr schwierig machte, sie am Freitagabend in der Musikkritikerrunde im „Soundcheck“ auf Radioeins zu verteidigen, dem popmusikalischen Quartett des Senders. Denn Hot Chip zur „Band völlig neuen Typs“ zu erklären, ist das eine. Solange man in der Hype-Verlaufskurve am Übergang von „Buzz“ zu „Rave Reviews“ steht, braucht man ja gar nicht mehr. Das Schöne an dieser Phase ist ja, wie sich das Es-ist-super-weil-neu selbst erklärt.

Sobald die Kurve fällt – und das passiert unweigerlich, sobald der Spiegel mithypt –, wird es aber schwieriger. Denn das „Wahnsinn, diese Band macht alles anders!“-Argument ist am Ende auch nur das „Das war doch alles schon mal da“-Argument in hoffnungsvollem Grün. Das wusste Andreas Müller natürlich, der Gastgeber der Sendung, der an Hot Chip herummäkelte, er verstehe die ganze Aufregung nicht, und schlauerweise auch gleich eine Platte an der Hand hatte, die sich gerade in der „Pre-Buzz“-Phase befindet: Elmore Judds „Insect Funk“ auf Honest Jon’s. Der ganz heiße Scheiß! Macht so niemand! Muss man sich merken!

Die Sendung wurde im gläsernen Studio neben dem Admiralspalast in der Friedrichstraße aufgenommen. Ein kleines Kabuff mit Mikrofonen, wo einem die Gäste des „Buena Vista Grandfathers“-Konzerts in ihrer Pause durch ein Fenster dabei zuschauen, wie man diskutiert. Irgendwie ein schönes Berlin-Gefühl von hier aus in die Stadt hinauszusenden: diese Mischung aus Geschichtsträchtigkeit (Friedrichstraße), Kitsch (Admiralspalast), Verkehr (man kann der S-Bahn beim Vorbeifahren zuschauen) und urbaner Leere (im Hof ist selten jemand).

Ganz anders: der Club Transmediale im Maria am Ufer. Mit den Popbegriffen von Top oder Flop ist er nicht zu begreifen. Larry Heard ist für die spätere Nacht angekündigt, einer der Mitbegründer des Chicago House. Die Erzählung, die Heard begleitet, ist eine vollkommen andere. Er ist eine Vaterfigur. Im medialen Abseits der Clubs im Chicago der späten Achtziger hat er damals einen bahnbrechenden Sound entwickelt, einige der grundlegenden Housetracks produziert, aber selbst vom Siegeszug dieser Musik nie groß profitiert. Aus Mangel an Geld und Anerkennung zieht er sich auch immer wieder aus dem Geschäft zurück und programmiert Software. Um die Welt dann wieder mit Tracks wie „The Sun Can’t Compare“ zu überraschen, eines der ganz großen Stücke des letzten Jahres, das in die Sets der unterschiedlichsten DJs passte. Kurz, ein legendärer Typ: kompromisslos, innovativ, einer, „der alles richtig macht“, wie man dann so sagt.

Tatsächlich ist Larry Heard nie dafür bekannt gewesen, ein außergewöhnlicher DJ zu sein, und handwerklich so richtig rund läuft sein Set auch nicht. Was aber ziemlich gleichgültig ist, denn die Figur, „die alles richtig macht“, darf, was aus komplizierten Coolnessgründen niemand anders darf: ausschließlich Hits spielen. Hits, Hits, Hits. All Killer, No Filler, wie Hot Chip mal eine frühe EP benannten. Larry Heard spielt Sachen wie „Energy Flash“ von Joey Beltram und „House Nation“ von den House Master Boyz – und als er ganz am Schluss seinen eigenen Überklassiker „Can U Feel It“ auflegt, nimmt er die Version, über die die berühmte „I Have A Dream“-Rede von Martin Luther King gelegt ist, nimmt sich das Mikrofon und singt die Gesangslinie selbst. Eine ganz große Geste, mir kommen die Tränen. TOBIAS RAPP