Konfus, aber schön

Auf dem Walberberg-Seminar, einem Literatentreffen des British Council, ging es um das Topthema Migration

„Verwurzelte Realitäten und Landkarten der Migration“, der Titel des diesjährigen Walberberg-Seminars, ist – bewusst oder unbewusst – ein Spiegel der Lage des British Council. Gegründet 1959 mit der Idee, das Nachkriegsdeutschland in britischer Kultur zu schulen, ist die Institution durch jahrzehntelange hervorragende Arbeit mittlerweile längst ein fester Bestandteil deutscher Kultur geworden. Durch den British Council sind zahlreiche Netzwerke entstanden und gestärkt worden. Und weil das alles so gut geklappt hat, verstärkt der British Council jetzt seine Europastrategie und stutzt die Berliner Wurzeln. Das Kulturinstitut ist in der Hauptstadt in deutlich kleinere Räumlichkeiten gezogen und will sich nun mehr auf Europa, weniger auf Deutschland konzentrieren.

Berlin hat das größte Budget aller Niederlassungen in EU-Ländern, was Zuwendungen des britischen Außenministeriums betrifft. Im letzten Jahr konnten sie durch den Sprachtest IELTS ihren Umsatz sogar steigern. Doch sollen die Gelder jetzt verstärkt in interdisziplinäre und internationale, nicht binationale Projekte fließen. Dazu hat sich der British Council ein neues Corporate Design und vier Schlagworte entworfen: Creative Europe, Open Europe, Competitive Europe und World Europe. Man fragt sich, ob das nun Feststellungen oder Wünsche sind.

Doch am Walberberg-Seminar 2008 zeigt sich, dass trotz der etwas konfus formulierten neuen Agenda der British Council immer noch wunderbare Veranstaltungen machen kann. Auch in Berlin. Statt sich nämlich in Richtung Schwarzes Meer aufzumachen, hat die Projektmanagerin Marijke Brouwer verstärkt Einladungen nach Malta, Italien, Spanien, Rumänien, Polen und Portugal verschickt. Gut ein Drittel der Teilnehmer des Seminars zur zeitgenössischen britischen Literatur waren also von anderen British Councils geschickt worden, um sich anzusehen, mit welchen Mechanismen das größte Literaturseminar overseas, eines der Vorzeigeprojekte des British Council, glückt. So gelingt Brouwer der Spagat zwischen alter und neuer Agenda.

Das Walberberg-Seminar ist eine Institution: 1986 von Malcolm Bradbury gegründet, treffen sich jedes Jahr im Januar an die fünfzig Verleger, Wissenschaftler und andere Interessierte zu Lesungen und Diskussionen mit fünf im weitesten Sinne britischen Autoren. Die Überschrift, die sich die Veranstaltung für die drei Tage gibt, ist dabei nicht unbedingt entscheidend. Viel wichtiger ist, dass man alte Bekannte wiedersieht, Kontakte knüpft, Neuigkeiten austauscht und etwas von der Welt der anderen erfährt, die ja schließlich die eigene Arbeit bestimmt. Welche Autoren werden gerade geschmäht, welche gehypt in England? Wie gibt die Uni Konstanz ihre neu gewonnenen Gelder aus? Verkaufen sich Alice Oswalds Aal- und Mondgedichte wohl auf dem deutschen Mark?

Einige Seminarteilnehmer kommen schon zum 22. Mal. Wer neu ist, wird gefragt, ob das sein erstes Mal sei, so als wäre selbstverständlich, dass sich an diesen ersten Besuch weitere reihen würden. Tradition ist hier wichtig: Einer der Autoren des Vorjahrs wird den Vorsitz des Seminars des nächsten Jahres übernehmen. Dabei ist besonders die Britishness der Walberberger Veteranen bemerkenswert: Der Konversationsstil ist extrem gepflegt und gerne mal ein bisschen exzentrisch, die Diskussionen sind mitunter heftig, aber insgesamt ist die Atmosphäre wunderbar entspannt. Und zum Schluss des Seminars 2008 dichtet Jürgen Schlaeger vom Berliner Großbritannien-Zentrum schnell noch ein kleines Epos über die diesjährige Veranstaltung. Auch das ein Walberberger Ritual.

Doch es mischt sich ein bisschen Melancholie in die Veranstaltung am Rande Berlins. Vielleicht, weil das Buzzwort Migration zwar noch Autoritäten solcher Kulturveranstaltungen beglückt, den Intellektuellen dazu jedoch nichts wirklich Neues einfällt. Und so schwelgt man denn in der eigenen Vergangenheit: Das Kloster Walberberg in der Nähe Kölns, in dem das erste Seminar dieser Art stattfand, steht nicht mehr zur Verfügung. Wer jetzt zu den Walberbergern stößt, ist Exilant zweiter Generation. Er wird nie wissen, welche Diskussionen sich auf jenen unerreichbaren Cordsesseln entfalteten. Aber vielleicht wird der Walberberger mit Migrationshintergrund deswegen, gemäß den Gesetzen der Diaspora, mit noch größerem Enthusiasmus und noch viel mehr Liebe zur Tradition dafür sorgen, dass weiter am Mythos Walberberg gestrickt wird. JUDITH LUIG