Geschichtsträchtige Orte

Heinrich-Heine-Straße

Herrschaftszeiten. Das ist ja was, wie der bildungsbeflissene Besucher an der U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Straße empfangen wird. Erst hängt die Betondecke im Ausgang so niedrig, dass jeder, der über Einssiebzig ist, unweigerlich Platzangst bekommen muss. Eine defekte Lampe ist notdürftig mit Klebeband und einer alten Plastiktüte umwickelt und sieht nicht gerade vertrauenerweckend aus. Kurzschluss lässt grüßen.

Oben angekommen, kracht dann Lastwagen nach Lastwagen vorbei. Aufgehübschte Plattenbaufassaden säumen beiderseits die Straße. Das also soll ein geschichtsträchtiger Ort sein. Ein alter Mann sucht sich einen Weg durch Glatteisreste und Pfützen und schimpft dabei unablässig vor sich hin. „Alles neu“ und „früher“ ist alles, was durch den Lärm dringt. Ob’s nun besser oder schlechter war, als hier noch die Grenze quer durch die Stadt verlief, wird von dem nächsten Dreißig-Tonner verschluckt. Und bevor man die nächste Lücke im Verkehr abwarten kann, ist der fluchende Zeitzeuge schon irgendwo in dem üppigen Plattenbau-Arrangement verschwunden.

Wer es die ganze lange Straße hinunter bis zum Moritzplatz schafft, der weiß, warum der Checkpoint Charlie es auf der touristischen Beliebtheitsskala weiter gebracht hat als der ehemalige Grenzübergang an der Heinrich-Heine-Straße. Wer dagegen nach links abbiegt, an der trostlosen Einkaufspassage vorbei, die sich etwas großspurig Heinrich-Heine-Forum nennt, der kommt in Genuss der schönen Folgen des Mauerstreifens: eine weite Brachfläche, blauer Himmel bis zum Horizont. Ein Gefühl, als könnte man ewig wandern. Das ist ja fast schon romantisch.

WIEBKE POROMBKA