5 MILLIARDEN VERZOCKT MAN NICHT HEIMLICH ALLEIN – ENDE EINES DOGMAS
: Das Märchen von der Bank

Die offizielle Geschichte liest sich wie ein Märchen. Jérôme Kerviel, der von Dutzenden KontrolleurInnen umgeben war, soll ganz allein rund 5 Milliarden Euro verspielt haben. Ohne erkennbares Motiv. Und ohne den geringsten persönlichen Vorteil. Ohne dass irgendjemand etwas aufgefallen wäre.

Frankreich ist ein Land, in dem eine winzige Kontoüberziehung ausreicht, um die Androhung eines Bankverbots zu erhalten. Zugleich wird in den Finanzabteilungen der großen französischen Banken täglich mit Milliarden spekuliert. Bei „normaler“ Konjunkturlage können Verluste geheim gehalten werden. Denn Finanzmärkte sind Dschungel. Sie sind die Orte des undurchsichtigsten und unkontrolliertesten Wirtschaftsgeschehens überhaupt. Doch dieses Mal sind die Verluste bei der Société Générale zeitlich mit der von den USA ausgegangenen weltweiten Börsenkrise zusammengefallen. Möglicherweise haben sie sie sogar noch verstärkt. Gigantisch, wie sie wurden, lassen sie sich nicht mehr verbergen. Jetzt wird das Bankmärchen politisch interessant.

Die Krise bei der zweitgrößten französischen Bank hat den Nutzen, ein Dogma zu widerlegen, das die liberalen Chefideologen weltweit seit Jahren predigen. Sie behaupten, dass die Märkte sich am besten allein regulieren. Der Fall der Société Générale zeigt, dass die Märkte weder „vernünftig“ sind noch sich selbst kontrollieren können oder wollen.

Zugleich zeigen die beruhigend gemeinten Reaktionen – vom französischen Staatspräsidenten über den französischen Notenbankchef bis hin zum Chef der Europäischen Zentralbank –, dass von ihnen weder mehr Transparenz noch bessere Kontrolle über künftige Finanzspekulationen zu erwarten ist. Diese Erklärungen folgen einer anderen Logik: Sie sollen vor allem den Status quo verteidigen. Den Finanzplatz Frankreich und den Finanzplatz Europa. Sowie eine französische Großbank, die groß genug ist, um im Falls des Absturzes zahllose weitere Banken mit in den Abgrund zu reißen und eine internationale Kettenreaktion auszulösen. DOROTHEA HAHN