Neoliberaler Kardinal

betr.: „Ihm folgt ein langer Winter“, taz vom 16. 1. 08

Der „unfassbar belesene Intellektuelle“, Kardinal Karl Lehmann, „brillanter Universitätsprofessor“ und schließlich ein „altersmilder Gottesmann“, „menschlich ausgleichend und offen“, stimmte 2002 auf einer Veranstaltung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in Berlin der Forderung von Ärzten, Arbeitgebern, CDU/CSU und FDP zu, die „Eigenverantwortung“ der Sozialversicherten zu stärken und den „überdehnten Wohlfahrtsstaat“ in seine Schranken zu weisen.

Zwischen der sozialen Marktwirtschaft und der katholischen Soziallehre habe „eine endgültige Annäherung und geradezu eine Art Versöhnung stattgefunden“. Dies bedeutete bei Kardinal Lehmann uneingedenk der Tatsache massiver verteilungspolitischer Schieflagen in Deutschland, „dass die sozialpolitische Unterstützung bei steigendem allgemeinen Wohlstand nicht wachsen kann, sondern zurückgenommen werden muss“ („Mehr Eigenverantwortung in der sozialen Sicherung“, Arbeitgeber 7/54, S. 25).

Ähnliches äußerte im Übrigen auch sein evangelischer Kollege Bischof Huber, der in seiner Neujahrspredigt 2004 aufforderte, „schärfere soziale Gegensätze auszuhalten“. Erst nach Protesten zahlreicher BürgerInnen (wie der MontagsdemonstrantInnen im Herbst 2004) äußerten sich beide kritisch über die Politik des Sozialabbaus und wiesen auf die Bedeutung des sozialen Ausgleichs hin. Ich denke, eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Lebensleistung des liberalen (oder neoliberalen?) Kardinals Karl Lehmann wäre ehrlicher und interessanter gewesen. GLORIA DOHM, Göttingen