Vergessene Raubzüge

Die Verdrängung und Isolierung von jüdischen Bankiers, Industriellen und Unternehmern im Dritten Reich ist noch immer kaum erforscht. Ein Sammelband geht erstmals einigen Berliner Fällen nach

VON JUDITH LUIG

Es ist fast ein bisschen zynisch: Gerade jene Unternehmen, die nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 vergleichsweise klanglos jüdische Betriebe „arisierten“, beginnen mehr als 60 Jahre später mit der Aufarbeitung der eigenen Verstrickungen. Doch sie tun dies in den seltensten Fällen aus freien Stücken. Erst nach Ende des Kalten Krieges und nur auf Druck aus den USA, von verdrängten jüdischen Unternehmern sowie deren Nachkommen, die Entschädigungen verlangen, beschäftigt sich inzwischen so manche Firma mit ihrer Vergangenheit – und trägt damit eher unfreiwillig dazu bei, dass eine der großen Wissenslücken deutscher Geschichte erforscht wird.

Das Ausmaß der Verdrängung von jüdischen Unternehmern aus ihren deutschen Firmen und Betrieben ist bis heute kaum bekannt. Berlin hat in dieser Hinsicht gleich doppelten Nachholbedarf: Vor 1933 lebte in der ehemaligen Reichshauptstadt die größte jüdische Gemeinde Deutschlands – mit nahezu einem Drittel der deutschen Juden. Vor dem Jahr 1933 war Berlin zudem das Finanz- und Wirtschaftszentrum des Reichs und eine der größten Industriemetropolen Europas. Die Historikerin Beate Schreiber hat errechnet, dass es bis zu 30.000 jüdische Betriebe in Berlin gegeben hat.

Studien fehlen völlig

Doch was aus ihnen wurde, das hat bislang kaum jemanden gekümmert. „Verglichen mit Österreich scheint Deutschland ein Entwicklungsland zu sein“, resümiert Schreiber. Nicht nur habe die Bundesregierung keinerlei offizielle Forschungsarbeit in Auftrag gegeben. Auch fehlten Studien zu Großstädten wie Frankfurt am Main, Leipzig oder eben Berlin. Daran hat Schreiber nun etwas geändert. Zusammen mit Christof Biggeleben und Kilian J. L. Steiner hat sie den Sammelband „ ‚Arisierung‘ in Berlin“ herausgegeben: Er beinhaltet zwölf Fallstudien, die die Isolations- und Ausbeutungsstrategien der NS-Herrschaft in der Hauptstadt aufzeigen.

Wer Berichte von Zeitzeugen liest, beispielsweise jene von Sebastian Haffner, der wird erstaunt sein über die Nüchternheit und den Pragmatismus in der damaligen Unternehmenskultur. Der erste nichtjüdische Vorstandsvorsitzende der AEG, Herrmann Bücher (1882–1951), den sein Nachfolger als „Gegner des Nationalsozialismus“ bezeichnet hat, soll 1938 gegenüber seinem Vorstand gesagt haben: „Wenn einer vom Unternehmen jetzt die Gelegenheit benutzt, für die AEG jüdisches Vermögen zu kaufen, schmeiße ich ihn fristlos raus.“ Doch da hatte er wohl eher die Folgekosten für die eigene Firma und weniger moralische Skrupel im Sinn, denn so Bücher weiter: „Es wird der Zeitpunkt kommen, wo das alles zurückgezahlt werden muss.“ De facto hatte die AEG auch bereits zwei Jahre zuvor von der Verdrängungspolitik der Nazis profitiert – unter anderem durch die Beteiligung an dem bereits „arisierten“ Unternehmen Loewe.

Besonders interessant ist der Beitrag des Historikers Sebastian Panwitz über die „Isolierung der Gesellschaft der Freunde“. In dem bereits 1792 gegründeten, zunächst rein jüdischen Verein halfen die Mitglieder einander in Notfällen; es war eine Art „genossenschaftlicher Versicherungsverein“, wie Panwitz es nennt. Im Berliner Wirtschaftsbürgertum war der Antisemitismus weit weniger verbreitet als in anderen sozialen Gemeinschaften; es traten im Laufe der Jahre immer mehr nichtjüdische Führungskräfte den „Freunden“ bei, darunter beispielsweise der Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht.

Vermögen eingezogen

Doch sehr tief scheint die Freundschaft nicht gegangen zu sein. Nach der Machtergreifung unterstützte Schacht den Verein zwar weiterhin mit Spenden, trat allerdings aus der Gesellschaft aus und dem „Freundeskreis der Reichsführer SS“ bei. 1935 wurde die „Gesellschaft der Freunde“ verboten und ihr Vermögen von 325.000 Reichsmark eingezogen.

Nach Kriegsende sorgten die Alliierten dafür, dass die Restitutionen von Grundstücken und Vermögen jüdischer Vereine in ihre eigenen Staaten flossen, erklärt Panwitz. Damit wurde auch verhindert, dass jüdisches Leben wieder Fuß in Deutschland fasste.

Die ehemaligen Mitglieder der „Gesellschaft der Freunde“ jedoch argumentierten, dass sie nie ein religiöser Verein gewesen seien. Dennoch bekamen sie ihr Vermögen nicht erstattet: Ihre Restitutionen gingen an die Allgemeine Treuhand Organisation. Was daraus wurde, ist nicht klar. Sicher ist, schreibt Panwitz, dass damit „die Geschichte eines der ältesten Vereine Berlins unwiderruflich endete.“

„Arisierung“ in Berlin“. Hrsg. von Christof Biggeleben, Beate Schreiber und Kilian J. L. Steiner. Metropol Verlag, Berlin